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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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all der anderen Kinder auf der Welt, die legitim sind und die Gott seinen wirklichen Eltern genommen hat?«
    Theresia gab Agnes’ Blick zurück; ihre Augen flackerten vor Wut. Agnes erkannte, wie das Gesicht ihres Vaters grau wurde – nenn ihn nicht deinen Vater, ermahnte sie sich selbst, diese Menschen hier sind nicht deine Eltern, deine Eltern sind namenlose Gestalten, die im Dunkel der Jahre untergegangen sind und sich um dein Schicksal einen Dreck gekümmert haben – und wie er die Hand hob, um zu verhindern, dass noch mehr gesagt wurde. Doch Agnes ließ sich nicht aufhalten. Pater Xavier hatte dafür gesorgt, dass das Geheimnis des Hauses Wiegant keines mehr war; dennoch war es in all den Wochen, seit der Dominikanerpater abgereist war, kein einziges Mal angesprochen worden. Niklas Wiegant hatte den Blick seiner Tochter gemieden, wenn sie sich begegnet waren, und Agnes hatte nicht den Mut gefunden, anzusprechen, was sie nun beide wussten. Hatte sie es nicht sogar Cyprian verschwiegen, der ansonsten alle ihre Geheimnisse kannte? Voller Selbstekel wurde ihr bewusst, dass sie sich verkrochen hatte wie ein kleines furchtsames Tier, wie das kleine Mädchen, das unter die Decke schlüpfte, die Augen schloss, sich die Hände über die Ohren hielt und sich dann einzureden versuchte, dass das Gewitter schon vorübergezogen war.
    »Warum?«, sagte sie. »Warum haben Sie mich hierhergebracht, Herr Wiegant? Warum haben Sie mich nicht gelassen, wo immer Sie mich gefunden haben, und sterben lassen? Haben Sie gedacht, Sie könnten meine Seele kaufen, Herr Wiegant? Haben Sie je versucht herauszufinden, wer meine wahren Eltern sind? Woher komme ich, Herr Wiegant? Haben Sie je nachgeforscht, haben Sie sich je gefragt, ob meine Eltern mich nicht vielleicht lieber behalten hätten, als mich in ein Findelhaus zu stecken? Haben Sie in Kauf genommen, dass einer Mutter und einem Vater das Kind genommen wurde, nur weil Sie selbst keine haben konnten? Woher komme ich? Woher stammt das Kind, das Sie in Ihr Haus gebracht haben?«
    »Hör auf, Agnes«, sagte Niklas erstickt. Agnes merkte voller Schrecken, dass er zu weinen begonnen hatte. »Hör auf, mich ›Herr Wiegant‹ zu nennen, du brichst mir das Herz.«
    »Und Sie, Frau Wiegant? Sie haben sich jeden Tag gefragt, woher das Kind stammt, habe ich Recht? Stammt es vom Teufel, Frau Wiegant? Hat Ihr Mann einen Wechselbalg über seine Schwelle getragen? Standen Sie vor der Wiege und haben sich gedacht: ich brauche nur ein Kissen auf den Kopf zu drücken, und in ein paar Augenblicken ist der Alptraum vorüber?«
    »Hör auf, Agnes, um der Liebe Christi willen, hör auf!«, schluchzte Niklas.
    »Ich lasse mir das nicht länger gefallen!«, sagte Theresia. Sie drehte sich um und stapfte zur Tür, stolzierte an Niklas vorbei, als wäre er ein Möbelstück.
    »Haben Sie dieses Kind als eine Beleidigung des Willen Gottes empfunden?«, rief Agnes ihr hinterher. »Haben Sie seine Anwesenheit in diesem Haus, dem Gott in seinem Ratschluss offensichtlich eigene Kinder verwehrt hat, als Sakrileg gesehen? Wie oft haben Sie das Kind angesehen und sich gefragt: Warum lebst du, wenn meine eigenen Kinder alle nicht leben durften? Warum? Was ist der Grund?«
    Theresia war an der Tür stehen geblieben. Ihr Rücken war so gerade wie immer. Sie drehte sich nicht um.
    »Warum bin ich hier? Warum?«, schrie Agnes. Wut und Trauer ließen ihren Körper so verkrampfen, dass sie dachte, die geringste Bewegung würde ihn zerbrechen. »Warum machen Sie sich über meine Zukunft Gedanken, wenn Sie keinen einzigen an meine Herkunft verloren haben? Oder bin ich nur erneut ein Ersatz für etwas, das jemand nicht haben kann? Das Kind für Niklas und Theresia Wiegant, die selbst unfruchtbar sind? Die Frau für Sebastian Wilfing, der zu hässlich und zu lächerlich ist, um selbst eine zu finden?«
    Sie wusste, dass sie Sebastian Wilfing junior Unrecht tat, aber es war ihr egal. Dass ihre Worte wie Schwerthiebe waren, die die Seiten von Niklas und Theresia trafen, war ihr ebenfalls egal. Sie starrte den Rücken ihrer Mutter an, sie starrte ihrem Vater in die Augen.
    »Fertig?«, fragte Theresia kühl. »Ich habe noch Wichtigeres zu tun.« Sie verließ den Raum, ohne sich umzublicken. Agnes’ Blicke fraßen sich an ihrem Vater fest.
    »Warum?«, fragte sie und begann erneut zu weinen. »Warum haben Sie mich nicht in meinen ersten Wochen sterben lassen, Vater?«
    »Weil ich dich liebe, Agnes«, sagte Niklas.
    »Und ich

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