Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
Vom Netzwerk:
liebe Cyprian!«, schrie sie. »Ist meine Liebe weniger wert als Ihre?«
    »Liebe ist das höchste Gut …«
    »Warum verwehren Sie mir dieses Gut? Warum verwehrt meine Mutter sie mir, seit ich denken kann? Warum lassen Sie mich nun plötzlich nicht in ihr die Erfüllung finden? Geben Sie mir die Liebe! Vermählen Sie mich mit Cyprian Khlesl.«
    Die Augen ihres Vaters waren groß in seinem blassen Gesicht. Sie zuckten.
    »Nein«, sagte er. »Nein, das geht nicht. Du verstehst esnicht, Agnes, und Gott behüte, dass du es je verstehen musst. Was ich tue, ist das Beste für dich. Du wirst Sebastian Wilfing heiraten, und du wirst die Familie Khlesl vergessen.«
    Er wandte sich ab, als die Tränen erneut in seine Augen stiegen, und stapfte hinaus. Agnes sah ihm sprachlos hinterher. Was sie in seinen Augen gesehen hatte, ließ ihre ganze Wut auf einen Schlag verpuffen. Stattdessen kroch eine Kälte in sie hinein und breitete sich in ihrem Körper aus, als hätte ihr Herz einen Strom aus Eisblut hineingepumpt. Sie verstand, dass es weder reine Berechnung noch die Dankbarkeit des Geschäftsfreundes war, die Niklas Wiegant den Entschluss hatten fassen lassen, seine Tochter mit dem Sohn seines Freundes zu verheiraten; ebenso wie sie verstand, dass es nicht reine Sturheit war, die ihre Verbindung mit Cyprian Khlesl untersagte. Es war die vollkommen rätselhafte Gewissheit, dass die Familie ihres besten Freundes für Agnes das Verderben bedeuten würde. Es war die nackte Angst um seine Frau, um sich selbst und im allergrößten Maß um seine adoptierte Tochter, die Niklas Wiegant trieb.
    9
    Der Vorbau des Augustertors griff weit in die silbrig schimmernden Stoppelfelder aus. Dahinter erhob sich der zweite Bastionsring der Stadtbefestigung, die schrägen Flanken in der Dunkelheit noch wuchtiger, als sie es ohne Zweifel am Tag waren. Der Hradschin zur Linken war ein Schattengebirge, auf dem Lichtpunkte flimmerten: Kaiser Rudolf und seine Alchimisten arbeiteten auch in der Nacht an ihren widernatürlichen Experimenten.
    Pater Xavier sog den Duft ein und blieb stehen: in seiner kastilischen Wahlheimat brachte der frühe September die Gerüche von dürren Feldern, Staub und Felsen, die unter derSommerhitze Sprünge bekommen hatten; hier, tief in Böhmen und vor den Stadtmauern Prags, war es der Duft von gemähtem Gras, feucht gewordenem und in der Sonne getrocknetem Heu, fetter Erde und den würzigen Ausdünstungen der Wälder, die die Hügel rings um Prag bedeckten. Dazwischen: Tran, Ruß, verbranntes Fett, dumpf-moosiger Flussgeruch, Hausbrand und Torffeuer, Schwefel und Bratensoße, Kloaken und Ziergärten, Schweiß, Parfüm, Weihrauch und Kräuter. Wenn der Schwefelgeruch deutlicher gewesen wäre, wäre es der Duft der Hölle gewesen; Pater Xavier zweifelte nicht daran, dass er dennoch der Hölle nahe war. Die Hölle, so ahnte er, war nicht hässlich, sondern schön – ihre Schrecklichkeit würde sich dem Betrachter nur unter der Oberfläche erschließen, so wie der Schwefelgeruch der experimentierenden Hexenmeister in der Goldmachergasse nur zu ahnen war. Wäre die Hölle hässlich gewesen, niemand hätte sich vom Teufel verführen lassen. Hier war die Schönheit ebenfalls greifbar – die dunklen und die beleuchteten Schattenrisse der Türme, die Zinnen, die verzierten Dächer, das Blinken von Metall an Standarten und Fahnenstangen, die kupfernen Windhähne auf den Dachfirsten, die bronzenen Drachenköpfe an den Regenrinnen, vergoldet schimmernde Fenster, Uhrwerke und Schmuckfassaden.
    »Wir sollten uns beeilen, Bruder«, sagte Pater Stefano. »Es ist so späte Nacht geworden, dass es schon ein Wunder ist, wenn sie uns das Tor überhaupt noch öffnen. Jetzt zählt jede Minute.« Der junge Jesuit spähte in alle Himmelsrichtungen. »Die Leute am Straßenrand, die wir vor einer Stunde passiert haben, haben schon aufgegeben. Sie kommen nicht nach. Die wissen wahrscheinlich mehr als wir.«
    »Nur wer wagt, gewinnt, mein Freund«, sagte Pater Xavier.
    »Hast du sie gekannt?«
    Pater Xavier zog die Augenbrauen hoch. »Gekannt? Nein. Wieso?«
    »Ich dachte, einer von ihnen hätte dir zugenickt.«
    »Mir zugenickt? Mein lieber Freund, wie sollte ich Leute kennen, die irgendwo in Böhmen am Straßenrand sitzen? Ich komme geradewegs aus Spanien.«
    »Stimmt«, sagte Pater Stefano.
    »Wenn überhaupt, dann haben sie dich gegrüßt. Die Achtung vor der Societas Jesu ist groß, und die Furcht noch größer in diesem Land der

Weitere Kostenlose Bücher