Die Teufelsbibel
Häresie.«
Pater Stefano fasste unwillkürlich an seine vierzipflige Kopfbedeckung. »Na ja«, sagte er und versuchte, nicht zu lächeln. »Wir halten die Ketzer ganz schön in Atem.«
Die Gesellschaft Jesu stand im Ruf, nur die intelligentesten Männer auszuwählen und in die Welt zu lassen; dieser hier, dachte Pater Xavier, schien die Ausnahme von der Regel zu sein. Er wusste, dass Pater Stefanos Qualitäten anders geartet waren und dass wenigstens für die Jesuiten das galt, was die Welt ansonsten zu einem heiligeren Platz gemacht hätte: dass jeder Mann dort eingesetzt war, wo er am besten dienen konnte. Pater Stefano mochte leicht von einem Gesprächsfaden abzubringen sein und nervös werden, wenn sich der Lauf eines Tages seinen eng gefassten Plänen entzog, doch Pater Xavier war überzeugt, dass er ohne nachzudenken und mit vollkommen kühlem Kopf jede Wegmarke, jede besondere Gegebenheit, den Inhalt jedes einzelnen Gesprächs der beiden Tage ihrer gemeinsamen Reise und sogar noch die Anzahl und das Aussehen aller Reisenden, die sie auf dem Weg überholt hatten, bis ins Detail schildern konnte. Jeder Mann an seinem Platz, dachte Pater Xavier.
»Es tut mir leid, dass ich dich aufgehalten habe«, sagte Pater Xavier. »Ich bin immer noch beschämt von der Güte und Nächstenliebe, die du bewiesen hast, als du mich von der Straße aufgelesen hast.«
»Jeder hätte so gehandelt wie ich.«
»Nein, mein Freund. Bevor du kamst, gingen zwei an mirvorüber, und ich hörte den einen sagen: Katholischer Bastard, hoffentlich trittst du dich fest.«
Pater Stefano presste die Lippen zusammen und bekam schmale Augen, und Pater Xavier kämpfte gegen die Versuchung, seine Lüge noch dreister zu gestalten. Schließlich senkte er den Kopf wie einer, der das Unrecht nicht versteht, das ihm widerfahren ist, es aber schon lange vergeben hat.
»Dieser Spätsommer ist tatsächlich heiß, aber dass die Hitze ausgerechnet einem zusetzt, der aus Spanien kommt –« Pater Stefano lächelte; wäre er ein weltlicherer Charakter gewesen, hätte er Pater Xavier vermutlich mit dem Ellbogen in die Rippen gestoßen und gezwinkert.
»Wie ich schon sagte, mein Freund: Spanien ist das Land der Hitze und der Sonne, aber der Escorial ist tief und dunkel, und meine Aufgaben dort haben mich in den letzten Jahren nicht oft nach draußen geführt. Ich bin es einfach nicht mehr gewöhnt.«
Gestern in den späten Vormittagsstunden hatte Pater Xavier, der sich neben der Straße zusammengerollt und die Kapuze über den Kopf gezogen hatte, nach einer schweißtreibenden halben Stunde endlich eine Hand auf der Schulter gespürt, die ihn herumdrehte, und die Öffnung eines Wasserschlauchs, der sich auf seine Lippen presste und sie abwusch. Der Schluck war tatsächlich willkommen gewesen; der überzeugenderen Optik halber hatte Pater Xavier seine Lippen mit Straßenstaub eingerieben und etwas davon gekaut. Im Nachhinein hatte er sich für diese Vorsichtsmaßnahme, die ihn die ganze Wartezeit hindurch vor Durst fast verrückt werden ließ, verflucht – Pater Stefano war so aufgeregt gewesen, dass es ihm nicht einmal aufgefallen wäre, wenn aus dem Mund des vermeintlich von einem Schwächeanfall Niedergestreckten ein frisch gebratenes Hühnerbein geragt hätte.
»Was sind deine Pläne hier in Prag?«, fragte Pater Stefano.
»Zunächst einmal werde ich die Gemeinschaft von Brevnovaufsuchen und dort wieder zu Kräften kommen«, sagte Pater Xavier mit einem treuherzigen Augenaufschlag. »Danach –«, er machte eine flatternde Handbewegung, die ausdrücken sollte, dass es die Benediktinische Regel nicht gestattete, einem Außenstehenden Einzelheiten einer Mission mitzuteilen. Pater Stefano nickte.
»Wenn du meine Hilfe weiter benötigst, lass es mich wissen.«
»Du hast schon viel zu viel für mich getan.«
»Wollen wir weitergehen?«
»Einen Augenblick noch«, sagte Pater Xavier und breitete die Arme aus. »Ich bin noch immer außer Atem. Ein steiler Abstieg kann schlimmer sein als ein Aufstieg, wenn das Fleisch nicht mehr so will wie der Geist.«
»Es ist nur – wir haben immer noch eine kleine Weile zu laufen, und hier ist es so einsam wie in der Wüste.«
Pater Xavier streckte sich und tat so, als würde er tief Luft holen müssen. Seine Muskeln schmerzten von all dem Hinken und Taumeln und Stolpern und Vorwärtsschlurfen am Arm des anderen. So gesehen fühlte er sich wirklich halb zerschlagen. Einen Tag hat mich diese Scharade gekostet,
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