Die Teufelsbibel
gewisse Machtposition in diesem Wolfsrudel hast, das sich das Heilige Römische Reich nennt. Ich werde deine Ausbildung, dein Studium und alle nötigen Bestechungsgelder bezahlen, und ich werde dafür sorgen, dass du schneller als jeder andere den Bischofsstab in der Hand hältst. Nimmst du mein Angebot an?«
Cyprian betrachtete seinen Onkel. Was immer er für den Mann empfand, es war nicht weit von bedingungsloser Liebe entfernt. »Von ganzem Herzen: Nein«, sagte er.
Der Bischof schüttelte den Kopf. »Gerade deswegen bist du der Richtige.« Er seufzte. »Jeder andere in deinem Alter und in deiner Lage würde seine Seele dem Teufel verpfänden, wenn ich ihm so ein Angebot machte. Dein Bruder erbt die Bäckerei; deine Schwestern brauchen Geld für die Mitgift. Was bleibt für dich übrig? Nichts. Ich mache dir dieses Angebot nicht, um mir deine Loyalität zu erkaufen; wir beide wissen, woran wir miteinander sind. Ich mache es dir nur zu dem einen Zweck, dass du meine Suche fortführen kannst, wenn ich sie zu Lebzeiten nicht zu Ende bringe. Wenn das Testament des Teufels unter die Menschen kommt, wird es zu einer unvorstellbaren Katastrophe kommen. Denk an das Strafgericht über Sodom; denk an die Sintflut; denk daran, wie das römische Imperium gefallen ist. Unsere Welt wird in Flammen aufgehen.«
»Vielleicht habe ich mich vorhin unklar ausgedrückt: Ich bin hierhergekommen, weil ich um deinen Abschied bitten wollte«, sagte Cyprian nach einer Pause.
»Du hast dich sehr klar ausgedrückt.«
Cyprian schaute aus dem Fenster in den sich einschwärzenden Abendhimmel. »Ich weiß, dass ich dich nicht zu bitten brauche. Du bist nicht mein Herr, und ich bin nicht dein Knecht. Aber ich bin in deiner Schuld. Lass mich gehen, Onkel – es wartet jemand auf mich.«
»Das Schlimmste an all dem ist«, sagte der Bischof, als ob er Cyprians Worte nicht gehört hätte, »dass immer mehr Menschen Bescheid wissen. Es ist, als habe das Testament des Teufels für sich selbst entschieden, dass es nun lange genug geruht hat. Und die meisten, die davon Wind bekommen, wollen es für gute Zwecke benutzen – die Reformation beenden, die Welt unter der Herrschaft von Jesus Christus einigen, den Teufel endgültig aus der Hölle verbannen, was weiß ich. Sie verstehen nicht, dass man das Böse nicht für gute Zwecke einsetzen kann; es wird immer nur neues Böses daraus erwachsen. Diejenigen, die aus finsteren Gründen hinter den Schriften her sind, sind die leichtesten Gegner, weil man sie auf die Ferne erkennen kann. Die anderen, die der Überzeugung sind, das Richtige zu tun – die müssen wir fürchten.« Er wandte sich seinem Neffen zu. Cyprian war bestürzt über die fleckige Röte, die die Wangen seines Onkels überzogen hatte. »Ich kann diesen Kampf nicht allein führen. Ich bin zu schwach.«
»Du wirst dich nicht verführen lassen.«
»Ich bin nicht weniger verführbar als alle anderen. Ich werde das Buch ungesehen verbrennen, wenn es mir in die Hände fällt. Aber ich habe keine Chance, es allein zu finden.«
Cyprian erwiderte nichts. Melchior Khlesl zerrte wieder anseinem Pelz. Cyprian betrachtete sein Gesicht von der Seite. Plötzlich gruben sich Falten in die Wangen des Bischofs. Er lächelte wieder.
»Jemand wartet auf dich, wie? Die Liebe, die du die ganze Zeit vor der Nase hattest, so wie ich die Gewissheit, dass die Heiligenstädter Kirche nicht nur eine alte Legende unter ihren Mauern verbirgt?«
»Das Warten hat jetzt ein Ende.«
»Ich höre, es gibt andere Pläne für Agnes Wiegant.«
Cyprian war nicht überrascht, dass sein Onkel Bescheid wusste. Er stellte fest, dass es auf diese Weise sogar leichter war. Melchior Khlesl war nicht bekannt als einer, der seinen Mitmenschen Brücken baute. Für seinen Neffen Cyprian machte er Ausnahmen, wenn er das Gefühl hatte, dass es dem Jungen sonst zu schwer fiel, aus seiner Schale herauszukommen. Cyprian wusste genau darüber Bescheid. Es gab viele Gründe, warum nach Agnes sein Onkel der Mensch war, der ihm am meisten bedeutete. »Agnes ist ein illegitimes Kind. Wusstest du das auch?«
Melchior Khlesl musterte seinen Neffen über die Schulter hinweg. Seine Augenbraue war wieder in die Höhe gerutscht. »Nein«, sagte er. »Woher hast du es?«
»Von ihr. So ein schleimiger Dominikanerpater, den Agnes’ Vater von früher her kennt und der im Frühjahr zu Besuch war, hat sich wohl verplaudert.«
»Und?«
»Ihr Vater sagt, er habe sie aus einem Wiener Findelhaus
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