Die Teufelsbibel
zu Ende ist. Dann brauchst du meine Hilfe nicht mehr, und ich kann meine eigenen Wege gehen.«
Es schien nicht so, als ob der Bischof Cyprian gehört hätte. Aber bei Melchior Khlesl konnte man nie so genau wissen. Der Bischof starrte auf den Haufen Dokumente auf seinem Tisch. »In Wahrheit fürchte ich, dass wir ohnehin zu spät gekommen sind«, murmelte er.
»Zu spät? Du hast doch dort unten gesucht, seit die große Überschwemmung das alte Heiligtum freigelegt hat. Fast zwanzig Jahre!«
»Cyprian, wenn ich sage ›zu spät‹, meine ich: um Jahrhunderte zu spät. Der Aberglaube der Leute hat immer gewusst, dass dort unten etwas Unheimliches war – bis hin zu der Tatsache, dass die Höhlen eine Verbindung zum Fluss hatten und es wirklich einen kleinen See gab, der abhängig von den Jahreszeiten mehr oder weniger Wasser besaß. Die versteinerte Frau, die schwarzen Fische mit den leuchtenden Augen: die stehen für das Böse, das dort unten war und das die Leute sich nicht erklären konnten. Was glaubst du, warum das alteHeiligtum ursprünglich vernichtet und zugeschüttet worden ist? Man hat es dem heiligen Severin als Missionierungstat zugeschrieben, aber ich bin sicher, dass es die Menschen selbst waren, die zu der Zeit hier lebten und die versuchten, die Macht des Teufels in der Erde einzukerkern.«
Cyprian schob Pergamente und Listen beiseite und setzte sich auf die Kante des Arbeitstisches. Sein Onkel lehnte sich zurück und sah zu ihm auf. Cyprian musterte ihn.
»Onkel«, sagte er schließlich. »Die Suche ist vorbei. Und ich bin froh darüber. Ich habe all die Jahre nichts lieber getan, als dir dabei zu helfen. Doch jetzt möchte ich mich meiner eigenen Suche widmen. Du hast die Hälfte deines Lebens nach einem Buch gesucht, das du vor deiner Nase versteckt geglaubt hast – in den Katakomben unterhalb der Heiligenstädter Kirche. Ich habe fast genauso lange die einzige Liebe vor der Nase gehabt, die ich jemals wollte, und jetzt will sie mir jemand wegnehmen. Ich bin dir dafür dankbar, dass du mich aus dem Dreck gezogen hast, Onkel. Jetzt lass mich bitte gehen.«
»Ich habe etwas gefunden, das darauf hinweist, dass mir jemand zuvorgekommen ist.« Melchior Khlesl seufzte.
»Was?«
»Ein aus Ruß gemaltes Kruzifix in einer Nische, die mit einem Stein verschlossen war. Wenn sich nicht ein Ring aus feinem Schlamm in den Ritzen abgesetzt hätte, hätte ich die Nische nie erkannt. Ich lockerte den Stein und zog ihn heraus. Die Nische war leer – bis auf das gemalte Kreuz.«
Cyprian wollte nicht auf seinen Onkel eingehen; dennoch hörte er sich fragen: »Wie alt?«
Melchior Khlesl zuckte mit den Schultern. »Bis vor der letzten Überschwemmung lag die Stelle unterhalb des Wasserspiegels des Sees. Danach muss der Spiegel gesunken sein, vielleicht weil die angeschwemmten Sedimente irgendwas blockierten – ich weiß es nicht.«
»Das Kreuz kann also ein paar Hundert Jahre alt sein – oder nur zwanzig.«
Der Bischof antwortete nicht.
»Offenbar waren es keine Höhlenmalereien«, sagte Cyprian, »die sich in der Nische befanden, sondern etwas, das man mitnehmen konnte.«
»Wachstäfelchen, Tontäfelchen, in Wachs versiegeltes Leinen …«
»Was kann man damit schon anfangen?«
»Jemand kann es übersetzt haben«, sagte Melchior Khlesl und starrte ins Leere. »Das Heiligtum war römischen Ursprungs – also werden die Schriften lateinisch oder griechisch gewesen sein.«
»Jeder halbwegs gebildete Pfarrer oder Mönch …«
Melchior Khlesl lachte unlustig.
»… wie es sie vor ein paar Hundert Jahren noch gab …«, ergänzte Cyprian.
»Mit der Bildung ist es nicht mehr weit her«, sagte Melchior Khlesl. »Alles, was sie können, ist, das Ketzertum verfluchen oder ihm verfallen, manchmal genau in der Reihenfolge. Und Mordkomplotte schmieden.«
»Schon wieder?«
Melchior Khlesl stand auf und ging zum Fenster. Cyprian stellte sich neben ihn. Zwei Stockwerke tiefer, unten auf dem gepflasterten Hof des Bischofspalastes, war eine helle rotbraune Stelle zu sehen; Cyprian glaubte Steinstaub und Splitter in den Pflasterfugen zu entdecken.
»Vorgestern fielen rein zufällig zwei Dachziegel, die sich schon vor Jahren gelockert haben müssen, in den Hof, genau auf die Stelle, an der ich stand.«
»Ein blöder Zufall«, sagte Cyprian und sah seinen Onkel an.
»Ich hörte das Scharren und sprang beiseite.« Melchior Khlesl tippte an eine Stelle auf seinem Wangenknochen, woim Licht des Fensters ein
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