Die Teufelsbibel
noch nicht erzählt? Was soll ich nicht wissen?«
Melchior Khlesl nahm Cyprians Hand und löste sie von seinem Ärmel. Cyprian war bestürzt über die Kälte seiner Finger.
»Giovanni?«
Kardinal Facchinetti blickte auf. Bischof Melchior nickte. Der Kardinal atmete tief ein und ganz langsam aus. Sein Brustkorb fiel in sich zusammen.
»Von Spanien aus wurde ein Mann losgeschickt«, sagte er kaum hörbar. »Pater Xavier Espinosa. Ein Dominikaner. Er hat alle Freiheiten, die er braucht, um das Buch des Teufels zu finden und zurückzubringen. Wenn ich sage alle Freiheiten,dann meine ich alle. Man hat ihm schon im Voraus die Absolution erteilt. Ich habe vor Prag seine Spur verloren.«
Cyprian starrte ihn an. »Du hast ihn beschatten lassen?«
»Mein Spitzel ist spurlos verschwunden. Ich fürchte, er hat ihn entdeckt und beseitigt.«
»Du willst, dass ich diese Aufgabe übernehme?«
»Ich will nur verhindern, dass die Teufelsbibel gefunden wird und in die falschen Hände gerät. Wenn mir jemand sagen würde, sie sei in Flammen aufgegangen, würde ich meine Seele dafür geben. Dein Onkel hat dich vorgeschlagen.«
»Warum kümmerst du dich nicht selbst darum? Hier in Wien oder in Prag – du bist ein Kardinal! Du kannst die klügsten Köpfe hinter jeder Klostermauer haben, wenn du willst.«
Facchinetti und Khlesl wechselten einen erneuten Blick. Bischof Melchior nickte ein zweites Mal.
»Ich muss nach Rom«, sagte Kardinal Facchinetti. »Ich bin heute Morgen hier angekommen und reise morgen früh wieder ab.«
»Was denn«, sagte Cyprian und schaffte es nicht, den Zynismus aus seiner Stimme zu verbannen, obwohl er versuchte, so ausdruckslos wie möglich zu sprechen, »liegt Papst Gregor auch schon im Sterben?« Er bedauerte es, kaum dass er es gesagt hatte.
»Ja«, sagte Melchior Khlesl einfach.
Cyprians Augen verengten sich.
»Es wird ein neues Konklave geben«, flüsterte Kardinal Facchinetti. »Ich möchte, dass du weißt, dass Papst Gregor und ich persönliche Freunde sind. Ich habe ihn nicht in die wahren Vorgänge um die Teufelsbibel eingeweiht, weil ich nicht gewagt habe, ihn hineinzuziehen. Vielleicht habe ich ihn deswegen auf dem Gewissen. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich niemals rechtzeitig in Rom ankommen werde, um mich von ihm zu verabschieden und ihn um Verzeihung zu bitten.«
»Ich steige aus der Sache aus«, sagte Cyprian. Er sah seinenOnkel an. »Mir war es ernst, als wir das letzte Mal darüber gesprochen haben.«
»Ich habe Nachforschungen über Agnes angestellt«, sagte Bischof Melchior. »Niklas Wiegant hat gelogen.«
»Er hat ihr nichts über ihre Herkunft erzählt, weil er sie damit nicht belasten wollte – oder weil er die heile Welt seiner Familie aufrechterhalten wollte, was weiß ich. Spielt doch keine Rolle.«
»Nein, er hat gelogen, was ihre Herkunft betrifft.«
Cyprian brauchte nur einen Augenblick, um die Neuigkeit zu verarbeiten. »Und wenn? Soll sie doch sein Bastard sein! Ich würde sie lieben, selbst wenn Niklas sie mit einer Hure gezeugt und ihre Mutter sie in der Gosse geboren hätte.«
»Was durchaus möglich ist.«
Cyprian holte Atem und schluckte die Wut hinunter, die plötzlich in seiner Kehle saß. »Erklär dich genauer, Onkel«, sagte er heiser.
»Ich habe alle Findelhäuser in Wien überprüfen lassen …«
»Warum? Wozu hast du das getan?«
»… und ich kann mit Sicherheit sagen, dass niemals in diesem Leben ein Niklas Wiegant ein kleines Mädchen aus einem Findelhaus in Wien geholt hat.«
Cyprian schwieg. Er sah zu Kardinal Facchinetti hinüber, aber der Blick des alten Mannes war voller Mitleid, und Mitleid war das Letzte, das Cyprian jetzt zu sehen wünschte. Ihm wurde klar, dass Melchior den Kardinal in seine Rechercheergebnisse bezüglich Agnes eingeweiht hatte. Er versuchte, Zorn auf seinen Onkel zu empfinden, doch die dunkle Ahnung, die sich auf ihn senkte, machte Zorn unmöglich. Cyprian riss seinen Blick los.
»Es muss eine Urkunde in Niklas’ Kirchsprengel geben.«
»Die gibt es. Niklas Wiegant hat sie unterzeichnet. Sie ist eine Lüge. Niklas’ Zeuge, um diese Lüge zur Wahrheit werden zu lassen, war sein Geschäftspartner Sebastian Wilfing.«
»Hol ihn der Teufel«, wisperte Cyprian.
»Der wird uns alle holen«, murmelte Bischof Melchior.
»Das ist doch nicht alles, was du herausgefunden hast!«
»Ich habe nachgesehen, wo Niklas Wiegant gewesen ist, bevor er nach Hause zurückkehrte mit einem Kind im Arm, das nicht ihm
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