Die Teufelsbibel
davon anfertigen, in der der Schlüssel zum Code fehlte, um das Wissen zu erhalten und gleichzeitig vor Entdeckung zu sichern. Diese Kopie kam ins Kloster nach Brevnov – das ist bei Prag –, weil der Mönch, der seinerzeit dazu verführt worden war, die Teufelsbibel zu schreiben, ursprünglich aus diesem Kloster stammte.«
»Verführt!«, sagte Cyprian. »Dem Burschen ist eine alte römische Version in die Hände gefallen – hier in Wien, in einem alten, fast zerstörten heidnischen Heiligtum! Er hat sie nur übersetzt.«
»Das ist meine höchstpersönliche Theorie«, sagte Melchior Khlesl und zuckte mit den Schultern.
»Verführung geschieht auf viele Weisen«, sagte Kardinal Facchinetti.
»Was ist aus der Kopie geworden?«, fragte Cyprian, dem diese Variante der Geschichte neu war. »Ist sie noch in Brevnov?«
»Die eigentliche Frage sollte lauten: Was ist aus dem Original geworden?«
Cyprian spielte das Spiel mit. »Was ist aus dem Original geworden?«
Der Kardinal und der Bischof sahen sich an.
»Schwörst du bei allem, was dir heilig ist, das Geheimnis zu bewahren?«
»Eminenz«, sagte Cyprian gelassen, »so weit, wie ich schon drinstecke, ist es fast unerheblich, wenn ich noch mehr weiß. Außerdem ist heute das letzte Mal, dass ich mich mit dieser Sache befasse. Mein Onkel hat mir auf meinen Wunsch den Abschied gegeben. Vertraut mir also oder vertraut mir nicht – ein Schwur ist dazu nicht nötig.«
»Eine der ersten Aufgaben jedes neuen Papstes ist es, dieversiegelten Nachrichten zu lesen, die sein Vorgänger ihm hinterlassen hat. Darin geht es um all die Geheimnisse des Vatikans, die außer dem Heiligen Vater keiner wissen darf, und um all die Dokumente im Geheimen Archiv, die niemand jemals lesen darf. Eines der Geheimnisse – die anderen kenne ich nicht – betrifft die Teufelsbibel. In den Dokumenten heißt es, die oberste Pflicht des Heiligen Vaters bestehe darin, das Buch im Geheimen Archiv unter Verschluss zu halten und niemandem einen Blick hinein zu gestatten; einschließlich sich selbst.« Facchinetti nahm seine Kopfbedeckung ab und fuhr sich durch das Haar. Er seufzte. »Dutzende von Päpsten haben sich daran gehalten.«
»Bis auf einen«, sagte Cyprian.
»Bis auf einen«, bestätigte Kardinal Facchinetti. »Giovanni Battista Kardinal Castagna, Großinquisitor des Heiligen Offiziums. Papst Urban VII. Er dachte, er sei der auserwählte Mann, um die Spaltung der Christenheit zu beenden. Er dachte, das Werkzeug, das für seine Aufgabe bereitgehalten würde, sei die Teufelsbibel. Er war sicher, dass er sie zum Guten würde einsetzen können.«
»Papst Urban ist voriges Jahr gestorben«, bemerkte Cyprian.
»Er hat die Kopie gefunden«, sagte Facchinetti.
Cyprian wechselte einen Blick mit seinem Onkel. Er sah in ein eingefallenes Gesicht, in dem sich mühsam eine Augenbraue hob.
»Was ist aus dem Original geworden?«, fragte Cyprian.
Der Kardinal und der Bischof sahen sich an. Sie zuckten mit den Schultern.
»Du willst mir erzählen, man habe die ganze Zeit über geglaubt, das Original befinde sich sicher verwahrt im Geheimarchiv im Vatikan, und dabei war es nur die Kopie, die Kaiser Friedrich vor vierhundert Jahren hat anfertigen lassen?«, zischte Cyprian. »Und dass ein paar hochrangige Aasgeier inder Kirche davon Wind bekommen und sich gesagt haben: was der Papst kann, können wir auch? Dass Kardinal Facchinetti eigentlich zu diesem Kreis gehört, aber kalte Füße bekommen hat, weil ihm klar geworden ist, dass seine Kumpane die Teufelsbibel nicht vernichten, sondern für ihre eigenen Zwecke nutzen wollen?«
Bischof Khlesl warf einen Blick über die Schulter zu seinem Arbeitstisch, an dem Kardinal Facchinetti hockte und in eigene Gedanken vertieft schien. Für Cyprian sah der Mann aus, als würde er in den Tod hinüberdämmern. Der Kardinal hatte keinen Einspruch erhoben, als Cyprian seinen Onkel auf ein Wort unter vier Augen gebeten hatte.
»Was ist mit ihm los?«, fragte Cyprian. »Erzähl mir nicht, die Reise aus Rom hätte ihm so zugesetzt. Du siehst auch nicht besser aus, und du hast dich seit Tagen nicht aus deinem Arbeitszimmer herausbewegt. Wozu ist er überhaupt hier?«
»Er hat mich um Hilfe gebeten.«
»Warum dich?«
»Weil er die Spur der Teufelsbibel bis hierher nach Wien verfolgt hat. So wie auch ich.«
»Und was will er von dir?«
»Eminenz?«, fragte Bischof Khlesl und wandte sich ab.
Cyprian packte seinen Onkel am Arm. »Was habt ihr beide mir
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