Die Teufelsbibel
damit gerechnet, aber ich habe ihm die Gefolgschaft verweigert.«
»Du hast – aber er ist doch – er hat dich doch –«
»Er hat mich gerettet, ja. Und heute habe ich ihn zum Dank dafür im Stich gelassen. Ich hatte die Wahl zwischen dir und ihm.«
»Ich will nicht, dass du das für mich tust«, sagte sie kaum hörbar. »Aber ich will auch nicht, dass du fortgehst. Wen habe ich denn außer dir?«
Cyprian war jedes Mal aufs Neue betroffen, wenn ihm klar wurde, wie sehr Agnes sich mittlerweile als Fremde im eigenen Haus fühlte. Er wusste, dass Niklas Wiegant mit ihr nicht anders umging als zuvor – liebevoll und stets ein bisschen scheu; wer wollte, hätte daraus schon immer einige Wahrheiten ablesen können. Auch Theresia Wiegants Verhalten hatte sich nicht grundlegend geändert, höchstens ein wenig verschärft. Und doch war alles anders, weil Agnes es anders empfand. Wen habe ich denn außer dir? Cyprian ließ sich nichts anmerken, aber Bemerkungen wie diese pressten sein Herz zwischen zwei Fäuste und drückten es unbarmherzig zusammen. Er zog Agnes heran und umarmte sie.
»Ich liebe dich«, flüsterte er, »was immer auch geschieht und wohin immer ich auch gehe, ich liebe dich, daran wird sich nie etwas ändern. Alles wird gut.«
Die Wächter pfiffen und applaudierten; ihr Anführer versuchte weiterhin ein saures Gesicht zu machen und grinste dann doch. Idioten, dachte Cyprian, was wisst ihr schon; aber ihr Verhalten ließ ihn ebenfalls lächeln. Agnes schmiegte sich an ihn. Cyprian spürte wieder das Begehren, als er die Berührung ihres Körpers empfand. Obwohl man ihm seinem verwegenen Aussehen nach jederzeit die Rolle dessen zugetraut hätte, der bei einem Dorffest in den Büschen zwischen zwei Krügen Wein die gesamte Jungfernschaft eines Jahrgangs in Frauen verwandelt und sich dann ohne Anzeichen von Erschöpfung um den Braten anstellt, besaß er kaum mehr Erfahrung in körperlicher Liebe als Agnes. Er fühlte Verlegenheit in sich aufsteigen, als sie vor der Härte zurückzuckte, die in seinen einfachen Beinkleidern erwacht war und sich ihrer Berührung entgegendrängte; doch als er versuchte, dieser Berührung auszuweichen, fühlte er plötzlich, wie sich unter all den Lagen Tuch, die Agnes’ Ober- und Unterkleid und Hemd bildeten, ein Bein zwischen seine Oberschenkel schob und die Berührung erwiderte. Er schluckte und blickte sich wild um, doch die Wächter hatten längst wieder zu ihrer eigenen Beschäftigung zurückgefunden und bewachten Wien vor der Türkengefahr.
Agnes hob den Kopf. Er sah ihre gerötete Nase, die vom Weinen verschwollenen Augen, die Schmutzspuren, wo ihre Hände die Tränen abgewischt und wo sie Bahnen durch daswie immer nachlässig und zu leicht aufgetragene Wangenrot gezogen hatten; er sah nichts, was er nicht mit Küssen hätte bedecken, was er nicht sein Leben lang hätte betrachten und wofür er nicht mit Freuden hätte sterben wollen. Ihre Lippen öffneten sich. Es hätte keinen öffentlicheren Platz in Wien geben können als die Mauerkrone des Kärntnertors, und dennoch waren sie für einen Augenblick vollkommen allein – er und sie, Cyprian Khlesl und Agnes Wiegant. Sein Herz schlug wie verrückt. Wenn sie ihn nochmals gebeten hätte, mit ihr fortzulaufen, er wäre mit ihr durch das Tor hinaus geflohen, ohne auch nur einen Wecken Brot einzupacken; wenn sie ihn gebeten hätte, hier auf der Stelle Tatsachen zu schaffen, sie und sich selbst zu entehren und ihrem Verlangen nachzugeben, und wenn man sie nachher mit Ruten aus der Stadt peitschte, dann peitschte man sie wenigstens zusammen hinaus – er hätte ihrem Verlangen nachgegeben.
»Ich …«, begann er und wollte sagen: Ich kann dich nicht verlassen, ich kann dich nicht hergeben, du bist mein Leben, du bist in meinen Träumen, seit ich das erste Wort mit dir gewechselt habe.
»Ich …«, sagte sie.
Sie starrten sich an.
»Virginia«, hörte er sich sagen.
Sie blinzelte verwirrt.
»Ein neues Leben. Eine jungfräuliche Welt. Ein neuer Anfang. Du und ich.«
»Was? Aber …«
»Ja, ich weiß, was ich gesagt habe. Es war Geschwafel. Lieber bin ich mit dir zusammen in der Hölle als allein im Paradies.«
»Aber wie sollen wir das …?«
»Keine Ahnung. Ich kann meinen Bruder zwingen, mich auszuzahlen, aber das würde ihn ruinieren. Vielleicht leiht er mir etwas, wenn ich ihm lang genug den Hals zudrücke.«Er lächelte. »Ich kann ja wohl nicht von einer großzügigen Mitgift für dich ausgehen,
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