Die Teufelshaube
erkennen, jawohl. Sie sieht Sachen und weiß genau, was passiert ist.«
Das war unglücklich formuliert. Adelia senkte den Kopf, während sie auf das Unvermeidliche wartete.
Wolvercote musterte sie. »Also eine Hexe«, sagte er.
Das Wort tropfte in die Luft wie Tinte in klares Wasser, verfärbte sie, durchzog sie mit schwarzen, schlängelnden Spuren, ehe es sie für alle Zeit grau werden ließ.
So wie die Anspielung, dass Havis eine frustrierte Jungfrau sei, an ihr haftenbleiben würde, so würden die Umstehenden, die das Wort »Hexe« in Bezug auf Adelia hörten, es nie mehr vergessen. Das Wort hatte Frauen gesteinigt und verbrannt, man konnte keinen Widerspruch dagegen einlegen. Es bewölkte die Gesichter der Männer und Frauen, die zuhörten. Selbst bei Jacques und Walt waren neue Zweifel spürbar.
Sie geißelte sich selbst. Herrje, wie dumm. Wieso hab ich nicht gewartet? Sie hätte eine andere Gelegenheit finden können, um sich die Schuhe der Männer anzusehen, ehe sie beerdigt wurden. Aber nein, sie musste es ja gleich hier tun. Unbedacht,
unbedacht.
»Verdammt«, sagte sie.
»Verdammt.«
Sie sah sich um. Lord Wolvercote war gegangen, doch alle anderen starrten sie an. Sie hörte das Gemurmel. Das Malheur war geschehen.
Jacques trottete schnaufend auf sie zu. »Ich glaub nicht, dass Ihr eine Hexe seid, Mistress. Bleibt einfach nur in Eurem Zimmer, ja? Aus den Augen, aus dem Sinn. Wie der heilige Matthäus sagt: ›Es ist genug, dass ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.‹«
Aber der Tag war noch nicht vorüber. Als sie durch das Klostertor gingen, stürzte ihnen ein dicker Mann mit weit aufgerissenen Augen aus dem Kirchenportal entgegen. Er deutete auf Jacques. »Du da«, schrie er, »hol die Infirmarin.«
Der Bote rannte los. Der Dicke drehte sich um und stürmte zurück in die Kirche.
Adelia zögerte draußen.
Es ist genug …
Der Plagen hatte es heute wahrlich genug gegeben, und einige davon hatte sie selbst heraufbeschworen. Was auch immer da los ist, es geht dich nichts an.
Doch die Geräusche, die aus der Kirche drangen, klangen gequält.
Sie ging hinein.
Es drang nicht viel Sonne in das große Mittelschiff, in dem tagsüber keine Kerzen brannten. Aus den hohen, schmalen Fenstern im Obergaden fielen eisige Lichtstrahlen ins dunkle Innere, beschienen hier und dort eine Säule und durchschnitten den hohen Raum in dünnen Streifen, ohne die Mitte zu erhellen, wo die Klagelaute herkamen.
Bis ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte Adelia nicht erkennen, was vor sich ging. Langsam nahm die Szene Gestalt an: Da war ein Katafalk, und zwei stämmige Gestalten, ein Mann und eine Frau, zerrten an etwas, das darauf lag.
Dieses Etwas war – wie sie jetzt sehen konnte – die junge Emma. Sie lag ganz still da, doch ihre Hände umklammerten die hintere Kante des Katafalks, damit ihr Körper nicht von dem Körper weggezogen werden konnte, der unter ihr ruhte.
»Lass ihn, Mädchen. Komm jetzt weg da. Das is peinlich. Du liebe Güte, was hat sie nur?« Die Stimme des dicken Mannes.
Die Frau war sanfter, aber nicht weniger entrüstet. »Na, na, mein Engelchen, reiß dich zusammen, du regst deinen Pa auf. Der Tote kann dir doch egal sein. Nun steh doch auf.«
Der Dicke sah sich ratlos um und erblickte Adelia, die in der Tür stand, die Sonne im Rücken. »He, Ihr da, kommt her und fasst mit an. Ich glaub, unsere Tochter is ohnmächtig geworden.«
Adelia trat näher. Emma war nicht ohnmächtig, ihre Augen waren weit geöffnet und stierten ins Leere. Sie hatte sich quer über den Leichnam geworfen und umklammerte den Katafalk darunter so fest, dass ihre Fingerknöchel sich wie weiße Kieselsteine gegen das dunkle Holz abhoben.
Als Adelia ganz nah war, blickte sie nach unten.
Die Nonnen hatten Münzen auf die Augen gelegt, doch das Gesicht war das Gesicht des toten jungen Mannes auf der Brücke, den sie und Rowley ins Eishaus gebracht hatten. Es war Master Talbot aus Kidlington. Gerade eben hatte sie die Schuhe seiner Mörder untersucht.
Ihr wurde bewusst, dass der dicke Mann laut schimpfte, wenn auch nicht auf sie. »Schönes Kloster is das, wo sie einfach so tote Leute rumliegen lassen. Hat unsere Tochter ganz schön erschreckt, und ich kann’s verstehen. Bezahlen wir dafür etwa unseren Zehnten?«
Inzwischen hatte die Infirmarin mit Jacques die Kirche betreten. Schreie und Ermahnungen vermischten sich zu einem unverständlichen Lärm, der ein einziges Echo hatte, nämlich
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