Die Teufelshaube
klügerer Mann hätte sich dem Unvermeidlichen gebeugt, seinen Segen dazu gegeben und wäre gegangen.
Aber Wolvercote kann das nicht, dachte Adelia, in seinen Augen untergraben die Schwestern seine Macht, und das ängstigt ihn. Er muss der Platzhirsch sein, sonst ist er gar nichts.
Sie fragte sich, wieso er überhaupt das Recht besaß, Todesurteile zu fällen, und musste an ein Gespräch mit Rowley denken, der ihr einmal eines der alten in England herrschenden Gewohnheitsrechte erklärt hatte. »Manche Grundherren sind von alters her berechtigt, Diebe zum Tode zu verurteilen, die auf ihrem Land gefasst werden. Dem König gefällt das ganz und gar nicht, weil er meint, damit haben die Kerle praktisch das Recht, jeden zu hängen, der ihnen nicht in den Kram passt.«
»Und wieso verbietet er es dann nicht einfach?«
Doch alte Rechte konnten offenbar nicht abgeschafft werden, ohne bei denjenigen, die sie innehatten, Unmut oder gar Auflehnung zu entfachen. »Das wird er schon noch – zum richtigen Zeitpunkt.«
Der zweite Leichnam war geborgen, und man hatte beide mit Sackleinen zugedeckt. Die Nonnen machten sich daran, ihren beladenen Karren zurück über die vom Eis rutschige Brücke zu schieben.
»Siehst du, mein Liebchen«, sagte Gyltha zu Allie. »Das war lustig, nich?«
Schwester Havis blieb stehen, als sie an Wolvercote vorbeikam, und ihre Stimme war kälter als die Toten. »Wie waren ihre Namen?«
»Namen? Wozu wollt Ihr ihre Namen wissen?«
»Für ihre Gräber.«
»Die hatten keinen Namen, Herrgott noch mal. Die hätten sogar den Abendmahlskelch von Eurem verdammten Altar gestohlen, wenn ich sie nicht daran gehindert hätte. Es waren
Diebe,
Weib.«
»So wie die beiden, die neben unserem Herrn gekreuzigt wurden. Ich entsinne mich nicht, dass er ihnen seine Gnade vorenthalten hat.« Die Priorin wandte sich ab und folgte ihren Schwestern.
Er konnte es nicht dabei bewenden lassen und rief ihr nach: »Ihr seid eine nörgelnde alte Hexe, Havis. Kein Wunder, dass Ihr keinen Mann abgekriegt habt.«
Sie drehte sich nicht um.
»Sie werden sie begraben«, sagte Adelia. »Oje.«
Jacques, der in ihrer Nähe stand, grinste. »Das macht man mit Toten gemeinhin so«, sagte er.
»Ja, aber ich habe mir ihre Schuhe nicht angesehen. Und du«, sagte sie zu Gyltha, »bringst jetzt das Kind nach Hause.« Sie hastete den Nonnen nach und stoppte den Karren, indem sie sich einfach davorstellte. »Dürfte ich mal kurz? Geht ganz schnell.«
Sie kniete sich in den Schnee, so dass ihre Augen auf einer Höhe mit den Beinen der Toten waren, und hob das Sackleinen an.
Sie fühlte sich zurück auf die Brücke versetzt, als sie sie zum ersten Mal sah, nachts, mit der schrecklichen Last, die sie trug, und den Fußspuren im Schnee, die ihr den Ablauf des Mordes so deutlich geschildert hatten, als hätten die beiden Täter ihn selbst gestanden.
Sie hörte ihre eigene Stimme, die mit Rowley sprach: »Seht Ihr? Der eine trägt genagelte Stiefel, der andere hat Querstreifen an den Sohlen, vielleicht mit Riemen umwickelte Holzschuhe. Sie waren beritten und haben ihre Pferde zwischen die Bäume dort geführt … Während sie warteten, haben sie gegessen …«
Jetzt sah sie ein Paar robuster genagelter Stiefel vor sich. Der andere Tote hatte den rechten Schuh verloren, doch der linke Holzschuh war von fest gebundenen Lederriemen am Fuß gehalten worden, die unter der Sohle verliefen und kreuzförmig bis hinauf zur Wade gewickelt waren.
Sorgsam legte sie das Sackleinen wieder zurück und richtete sich auf. »Danke.«
Verblüfft zogen die Nonnen mit dem Karren weiter. Schwester Havis sah Adelia kurz in die Augen. »Waren sie es?«
»Ja.«
Walt hörte das. »He, sind das die Schweine, die das arme Pferd umgebracht haben?«
Adelia lächelte ihn an. »Und den Reisenden. Ja, ich glaube schon.« Sie drehte sich um und bemerkte, dass Wolvercote näher gekommen war, um zu sehen, was sie da machte. Die vielen Leute aus der Abtei blieben in der Nähe, um das Gespräch mitzubekommen.
»Wisst Ihr, wo die beiden herkamen?«, fragte sie ihn.
»Ist mir doch egal, wo die herkamen! Ich hab sie erwischt, wie sie mein Haus ausrauben wollten. Die hatten einen Silberbecher,
meinen
Silberbecher, und mehr muss ich nicht wissen.« Er sah den Torwächter an. »Wer ist das Weib, was macht die hier?«
»Ist mit dem Bischof gekommen«, antwortete Fitchet knapp.
Walt meldete sich stolz zu Wort: »Sie gehört zu dem Sarazenenarzt. Sie kann Sachen
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