Die Teufelshaube
Welt ebenso, wie das allmächtige Weibliche sie wohl beklagt. Doch Gottes Zeit ist nicht unsere Zeit, wie man uns sagt; ein Jahrhundert ist nur ein Augenblick für ein Wesen, das Alpha und Omega ist.«
»J-ja.« Stirnrunzelnd trat Adelia näher, setzte sich schräg auf die Stufen zum Altarraum, schlang die Arme um die Knie und starrte die reglose Gestalt im Chorgestühl an.
»Ich glaube, wir erleben in Eleanor einen solchen Augenblick«, sagte die Gestalt.
»Hä?«
»Ja, soweit ich weiß, haben wir zum ersten Mal eine Königin, die ihre Stimme für die Würde der Frauen erhebt.«
»Hä?«
»Hört zu«, sagte die Äbtissin.
Der Troubadour im Kreuzgang war mit der Komposition seines Liedes fertig. Nun sang er es, und der Klang seines wunderschönen Tenors strömte in die graue Kapelle wie Honig.
»Las! Einssi ay de ma mort exemplaire, mais la doleur qu’il me convendra traire, douce seroit, se un tel espoir avoie …«
Wenn auch der Sänger vor Liebespein starb, so hatte er seinen Schmerz doch immerhin in eine Melodie gefasst, die so schön war wie der Frühling. Unwillkürlich musste Adelia lächeln. Mit dieser Mischung würde er die Dame seines Herzens schon noch erobern.
»… Dame, et se ja mes cuers reins entreprent, dont mes corps ait honneur n’avancement, de vous venracom lointeins que vos soie …«
Falls also sein Herz je irgendetwas tat, das ihm zur Ehre gereichte, dann ginge das nur auf die Geliebte zurück, und sei sie auch noch so fern.
Diese Musik, die Eleanor stets überallhin begleitete, war für Adelias taube Ohren bloß eine weitere Geziertheit gewesen, das unvermeidliche Hintergrundgeräusch für eine Frau mit all jenen Schwächen, die man der weiblichen Natur zuschrieb; eine eitle, eifersüchtige und oberflächliche Frau, die in anmaßender Selbstüberschätzung beschlossen hatte, Krieg gegen einen Mann zu führen, der größer war als sie.
Doch die Äbtissin lauschte dieser Musik, als wäre es eine Lesung der Heiligen Schrift.
Und während Adelia mit ihr lauschte, geriet sie ins Grübeln. Sie hatte die kunstvolle, seufzende Poesie der Höflinge ebenso abgetan wie ihr Interesse an Kleidung und ihre parfümierten Locken, weil sie sie nach den Maßstäben einer rauhen Männlichkeit beurteilt hatte, die von einer rauhen männlichen Welt aufgestellt worden waren. War es denn wirklich dekadent, Zartes und Schönes zu bewundern? Rowley, so dachte sie mit einer schmerzlich zärtlichen Aufwallung, hätte das so gesehen – er hatte alles Weibliche an Männern verachtet und die Vorliebe seines Boten für wohlriechende Essenzen in etwa so schlimm eingestuft wie die übelsten Exzesse des Kaisers Caligula. Doch Eleanors Spielart dessen konnte ja gar nicht dekadent sein, weil sie neu war. Adelia setzte sich auf. Bei Gott, sie war
neu.
Die Äbtissin hatte recht. Ob nun bewusst oder nicht, die Königin trug in die kulturlosen bäuerlichen Regionen ihres Reiches ein Bild von Frauen als Menschen, die Respekt verdienten, und nicht als Waren, sondern wegen ihres persönlichen Wertes geschätzt und geachtet werden sollten. Dieses Bild forderte, dass Männer sich Frauen
verdienen
mussten.
Eleanor hatte Wolvercote ihren Höflingen gegenüber für einen Moment nicht als mächtigen Mann hingestellt, der sich das geholt hatte, was ihm zustand, sondern als eine brutale Bestie, die ihre Beute zum Fraß in den Wald schleppte.
»Ich vermute, Ihr habt recht«, sagte Adelia fast widerwillig.
»… vous que j’aim tres loyaument. Ne sans amours, emprendre nel saroie.«
»Aber es ist Heuchelei, es ist künstlich«, gab Adelia zu bedenken. »Liebe, Ehre, Achtung, wann werden sie denn je den einfachen Frauen erwiesen werden? Ich glaube kaum, dass der Junge das, was er da singt, auch tatsächlich praktiziert. Es ist … es ist eine hübsche Heuchelei.«
»Oh, ich halte viel von Heuchelei«, sagte die kleine Nonne. »Sie legt ein Lippenbekenntnis zu einem Ideal ab, das demzufolge auch existieren muss. Sie räumt ein, dass es ein Gutes gibt. In gewisser Weise ist sie ein Merkmal der Zivilisation. Bei den Tieren auf den Feldern findet man keine Heuchelei. Und auch nicht bei Lord Wolvercote.«
»Was nützt das Gute, wenn sich niemand dran hält?«
»Genau die Frage habe ich mir auch gestellt«, sagte Mutter Edyve ruhig. »Und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass die frühen Christen sich das vielleicht auch gefragt haben und dass Eleanor auf ihre eigene Weise vielleicht einen Anfang gemacht hat, indem sie
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