Die Teufelshaube
Ihr glaubt, Warin hat nur so getan, als wären sie sich noch nie begegnet?«
Jacques überlegte kurz. »Ja, das glaube ich.«
Adelia fröstelte. Wächter war unter ihre Röcke gekrochen und drückte sich wärmesuchend an ihre Knie. Gegenüber am Haus der Äbtissin glotzte ein Wasserspeier sie an, am Kinn ein Eiszapfenbart.
Ich beobachte dich.
Sie sagte: »Emma hatte eine gute Meinung von Master Warin, was bedeutet, dass Talbot das auch hatte, was wiederum bedeutet, dass der Junge ihm vertraute …«
»So sehr, dass er ihn in seine Fluchtpläne eingeweiht hat?« Beim Boten keimte Interesse auf.
»Ich weiß, dass er das getan hat«, sagte sie. »Emma hat es mir erzählt. Der Junge hat Warin gesagt, dass er an seinem Geburtstag mit Emma fliehen wollte, also an dem Tag, an dem er sein Erbe antreten konnte …«
»Das Master Warin jedoch ohne Talbots Wissen inzwischen durchgebracht hatte …« Er fand Gefallen an der Sache.
Adelia nickte. »Das Master Warin vielleicht durchgebracht hat, was, falls dem so ist, die Beseitigung des jungen Vetters erforderlich machte …«
»… und dann dämmert es Master Warin, dass er in Lord Wolvercote ja einen Verbündeten hat. Dem alten Wolf würden eine Braut und ein Vermögen durch die Lappen gehen, wenn der Fluchtplan gelingt.«
»Richtig. Also geht er zu Lord Wolvercote und schlägt ihm vor, dass Talbot sterben soll.«
Sie dachten eine Weile darüber nach.
»Wieso war es so dringend, dass Talbots Leiche gleich identifiziert wird?«, grübelte Adelia.
»Das liegt doch auf der Hand, Mistress. Advokat Warin könnte in Geldnöten stecken – er sieht aus wie ein Mann, der es sich gern gut gehen lässt. Es hätte zu lange gedauert, einem Untersuchungsrichter zu beweisen, dass das Vermögen der anonymen Leiche ihm gehört, falls er Talbots Erbe ist. So etwas dauert seine Zeit. Gerichte arbeiten langsam. Seine Gläubiger hätten ihn drangekriegt, ehe er über das Erbe hätte verfügen können.«
»Und Wolvercote war daran gelegen, dass Emma vom Tod ihres Geliebten erfährt. Ja, das passt alles zusammen.« Sie sagte: »Wolvercote hat die Mörder gedungen. Warin kannte sie wahrscheinlich nicht.«
»Und dann hat Wolvercote sie nach vollbrachter Tat beseitigt. So könnte es gewesen sein, Mistress.«
Durch das Gespräch war der Fall für Adelia sonnenklar geworden, von bloßer Theorie zu Wirklichkeit gereift. Zwei Männer hatten sich verschworen, um ein junges Leben auszulöschen. In Advokatenhäusern wurde das Böse als geschäftliche Transaktion erörtert, in Herrenhäusern bei einer Flasche Wein gründlich durchdacht; Männer wurden darin unterwiesen. Normalität, Güte waren Annehmlichkeiten, die gegen Geldgier aufgegeben wurden. Unschuld stand dagegen auf verlorenem Posten. Sie selbst stand dagegen auf verlorenem Posten. Das Böse lachte von den Dächern auf sie herab.
»Aber wie wollt Ihr das beweisen?«, fragte Jacques.
»Verschwörer misstrauen einander«, sagte sie. »Ich denke, es ist machbar, aber dafür brauche ich Eure Hilfe.«
Sie ließ ihn gehen und eilte zurück zum Gästehaus, weil sie ihre Angst um Allie einfach nicht abschütteln konnte.
»Munter wie ein Fisch im Wasser«, sagte Gyltha. »Schau sie dir an.«
Aber Adelia wusste, dass auch Gyltha Angst hatte, weil sie Mansur gebeten hatte, von nun an Tag und Nacht bei ihnen zu bleiben.
»Wem das nich passt, der soll mich mal … na ja, du weißt schon, was«, sagte sie. »Also geh los und tu, was du tun musst. Mansur is auf der Hut.«
Aber das war der Mörder auch …
Jetzt musste sie zu Pater Paton.
Diesmal war sie vorsichtiger, wartete, bis es dunkel geworden war, achtete darauf, ob sie verfolgt wurde, huschte von Schatten zu Schatten, bis sie im Schutz des schmalen Durchgangs vor der Treppe war, die hinauf zum Wärmeraum führte.
Schwester Lancelyne war bei der Vesper, daher traf sie den kleinen Priester allein an, wie er bei Kerzenlicht über dem Kopialbuch brütete. Er war nicht gerade erfreut über die Störung.
Adelia erzählte ihm alles haarklein, angefangen mit dem Auffinden von Talbots Leiche auf der Brücke – der kleine Priester war nicht dabei gewesen, weil er sich auf dem Fuhrwagen warm gehalten hatte –, dann die Geschehnisse in Wormhold, die Rückkehr nach Godstow und Berthas Tod, ihr Verdacht, wer was getan hatte, die drohende Gefahr für Allie, die drohende Gefahr für Dakers.
Er wollte nichts davon hören, rutschte unruhig hin und her und schielte ständig sehnsüchtig
Weitere Kostenlose Bücher