Die Teufelshure
dann sah er auf Madlen herab. Wenn sie bisher nichts davon wusste, durfte sie es auch jetzt nicht erfahren. Das Buch hatte mehr Sprengkraft als alle Kanonen dieser Welt. Und was es für ihn und seine Kameraden bedeutete, würde sich erst noch herausstellen.
15
West Highlands 1647 – »Tor Castle«
Madlen lag auf dem Rücken. Unter sich spürte sie die harte Erde, Steine, die ihr unangenehm in die Rippen stachen. Es war kalt, der Wind pfiff scharf um die Felsen. In der Ferne meinte sie einen Dudelsackpfeifer zu hören, der das schauerliche Kriegsgeheul der MacDonalds of Glencoe anstimmte. Über ihr kreiste ein schwarzer Vogel, vielleicht ein Adler, der auf Beute lauerte. Immer wieder durchstieß der Vogel das gleißende Sonnenlicht. Madlen beschlich das Gefühl, dass der Vogel mit jeder Drehung näher zu ihr heruntergelangte. Der Wind blies ihr das Haar ins Gesicht. Der Versuch, es beiseitezustreichen, misslang ebenso wie die Absicht, sich zu erheben, um davonzulaufen. Angstvoll war sie bemüht, wenigstens den Kopf zu drehen, doch auch das schien unmöglich. Der Vogel kam näher und näher, und die Sorge, dass er auf ihrer Brust landen und ihr die Augen auspicken könnte, ließ sie beinahe wahnsinnig werden.
Der Dudelsackpfeifer steigerte seinen Einsatz, und nun glaubte sie, das Geschrei unzähliger Männer zu hören, die sich mit Schilden und Schwertern eine blutige Schlacht lieferten. Musketen krachten, und das dumpfe Donnern einer Kanone zerriss den Morgen.
Der Vogel näherte sich unaufhörlich. Es war ein Rabe. Nun konnte sie ihn sehen. Er war noch jung und längst nicht so groß, wie es den Anschein gehabt hatte. Mit schnellem Flügelschlag schwebte er über ihr. In seinen Krallen trug er ein silbern glänzendes Symbol: einen fünfzackigen Stern, umgeben von einem Ring, darauf ein lateinischer Spruch. Aus der Mitte heraus leuchtete ein blutroter Rubin. Sie kannte das Zeichen. Es war auf Chesters geheimem Buch zu finden.
Der Rabe kam noch näher heran und öffnete seine Krallen. Dann legte er das Emblem vorsichtig auf Madlens Brust ab, als wollte er sagen: Du bist eine Gezeichnete – eine Frau, die nicht mehr sich selbst gehört, sondern dem, der dieses Symbol sein Eigen nennt.
Plötzlich erhob sich aus der Mitte des Rubins ein strahlendes Licht wie ein breiter schimmernder Fächer. Darin verborgen entstand das Bild eines Mannes – eines hässlichen alten Mannes, wie sie bei genauer Betrachtung feststellen musste.
Madlens Herz drohte zu bersten, als sie Bruder Mercurius erkannte. Er lächelte, hintergründig und verschlagen. »Sag mir, wo du bist, kleine Madlen«, flüsterte er heiser. »Ich muss es wissen, damit ich dich retten kann.«
Madlen wollte schreien, doch mit einem Mal wandelte sich die Gestalt zu einem vertrauten Anblick. Es war John, der ihr einen Kuss zuwarf und sie danach in ihr Brautgemach trug. Ihr Herzschlag beruhigte sich, als er sich über sie beugte und ihr ein seliges Lächeln schenkte.
»Ich werde es sein, der dich und dein Kind tötet, wenn du mir die Wahrheit verschweigst«, flüsterte er sanft. Unvermittelt verwandelte er sich in Bruder Mercurius zurück, der in ein schallendes Gelächter ausbrach, und erst jetzt war es Madlen möglich, einen gellenden Schrei auszustoßen.
John fuhr schlagartig auf. Den Degen in einer Hand, den Dolch in der anderen, sah er sich kampflustig um. Es war der Schrei einer Frau gewesen, der ihn aus einem leichten Schlaf geweckt hatte – Madlens Schrei, wie er begriff, als er herumfuhr und sie neben sich im Stroh liegen sah. Aus großen blauen Augen starrte sie ihn an. Sie hatte sich so in ihrer Decke verheddert, dass sie sich nicht mehr zu rühren vermochte. Ihr Atem ging hastig, Schweiß stand auf ihrer Stirn. John legte Degen und Dolch zur Seite, nachdem er festgestellt hatte, dass keine Gefahr lauerte, und half ihr, sich aus der Decke herauszuwinden.
»Danke«, flüsterte sie. Ihr Blick irrte umher, als ob sie sich vor einem Ungeheuer fürchtete.
»Geht’s dir gut?« John legte ihr besorgt seine Rechte auf den Arm. Gern hätte er sie an sich gedrückt, doch es sah nicht danach aus, als ob sie es wollte.
»Ja, es ist alles in Ordnung«, antwortete sie mit verlegenem Blick. »Hab wohl schlecht geträumt.«
»Kein Wunder.« John verlieh seiner Stimme einen versöhnlichen Tonfall.
»Nach allem, was du in letzter Zeit durchgemacht hast.« Während Madlen sich aufrecht hinsetzte, legte er ihr fürsorglich die Decke um die Schultern. Sie
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