Die Teufelsrose
gehen.
Anne-Marie sah sich im Ruderhaus suchend um, und er nahm den Zündschlüssel aus der Tasche und gab ihn ihr. »Suchst du das?«
Sie nahm den Schlüssel, steckte ihn ins Zündschloß und drehte ihn halb um. Die Maschinen erwachten dröhnend zum Leben. »Das wäre also geregelt«, sagte Brosnan.
»Was soll ich sagen?« fragte sie zornig. »Mögest du in Irland sterben!«
Das war der alte irische Trinkspruch. Brosnan erwiderte: »Ein frommer Wunsch, aber wahrscheinlich wird er nicht in Erfüllung gehen.«
Er kletterte über die Reling auf den Steg und schaute zu, wie die Kathleen ablegte, meerwärts drehte, im Nebel verschwand. Erst dann wandte er sich um und ging zum Land Rover.
Die Auswahl an Kleidungsstücken in Salters Schlafzimmer war so umfangreich, daß Brosnan nur annehmen konnte, der Bestat tungsunternehmer habe sich angewöhnt, die ihm anvertrauten Leichen zu fleddern. Er duschte, wusch den Gestank des Flusses von sich ab und wählte einen grauen Tweedanzug und ein dazu passendes Wollhemd samt Krawatte. Dann fand er noch einen passenden Regenmantel und ging nach unten ins Wohnzimmer, wo Salter noch immer auf einen Stuhl gefesselt war.
Er sah auf die Uhr. Es war erst sieben, und er sagte zu Salter: »Wann kommt Ihr Personal?«
»Als Sinclair angerufen hatte, habe ich ihnen gesagt, sie könnten den Vormittag frei haben.«
»Also kommen sie erst gegen Mittag?«
»Ja.« Salter befeuchtete seine trockenen Lippen.
»Ich werde Ihnen einen Gefallen tun und Sie gefesselt lassen. Dann finden Ihre Leute Sie in diesem Zustand, und Sie können behaupten, ein unschuldiges Opfer zu sein, wenn die Sache
hier rauskommt.«
Salter sagte: »Ich bin Ihnen sehr dankbar. Darf ich etwas fragen? Ist Mr. Sinclair tot?«
»Ja«, sagte Brosnan. Er ging hinaus und machte die Tür hin ter sich zu.
Einige Augenblicke später hörte Salter, wie der Land Rover angelassen wurde. Bald verlor sich das Brummen des Motors. Salter zerrte so lange an den Fesseln, bis er die Hände ein bißchen bewegen konnte. Dann blieb er still sitzen und über legte, was er der Polizei sagen sollte.
15
Die Themse unterhalb der London Bridge war früher einmal der Mittelpunkt der Weltschiffahrt. Jene Tage waren längst vorüber, und als Brosnan an jenem Dienstagabend durch Wapping zu den Kais ging, sah er nur Zeichen des Verfalls, rostige Kräne, die in den Himmel ragten, leere Lagerhäuser mit vernagelten Fensteröffnungen.
Irgendwo glitt ein Schiff den Fluß hinunter, und das Nebel horn tutete; außer diesem unheimlichen Ton hörte er nichts, und es kam ihm vor, als sei er weit und breit das einzige Lebewesen.
Er bog zur Great India Wharf ab, ging ein paar leere Kais entlang und kam zu einem Schuppen am Ende des Piers, unmittelbar am Wasser. Auf dem Schild am Tor stand Winter & Co. – Import. Brosnan öffnete die kleine Tür, die in das Tor eingelassen war, und ging hinein.
Das Innere war vollgestellt mit einem Sammelsurium alter Möbel. Es war dunkel, wie bei seinem letzten Besuch, aber diesmal drang gedämpfte Musik aus dem kleinen verglasten
Büro oben, zu dem eine steile Treppe führte.
»Mrs. Winter?« rief er.
Die Bürotür wurde geöffnet, die Musik kam lauter. »Sind Sie's, Mr. Brosnan?«
»Ja.«
Sie knipste eine Lampe im Lagerhaus an, um ihn sehen zu können, trat ans Geländer und blickte hinunter. Sie war wenig stens 70 Jahre alt, die Haare waren aus einem gelblichen, wie Pergament wirkenden Gesicht nach hinten gezogen und zu einem strengen Knoten gebunden. Sie trug ein Tweedkostüm, dessen Rock beinahe bis zu den Knöcheln reichte. Mit der rechten Hand hielt sie einen der prachtvollsten Hunde fest, den Brosnan je gesehen hatte, einen schwarzen Dobermann mit lohfarbener Zeichnung.
Ihr Englisch war ausgezeichnet, wenn auch mit einem deut schen Akzent. »Wissen Sie, Sie interessieren mich, Mr. Bros nan. Karl hat keinen Mucks von sich gegeben, als Sie mich das erstemal besucht haben, und jetzt eben auch nicht. So was hab ich bei ihm noch nie erlebt.«
»Es gibt da eine Redensart«, sagte Brosnan. »Kinder und Hunde haben einen besseren Instinkt.«
Er ging die Treppe hoch und kraulte den Hund zärtlich hinter den Ohren, als er ihr ins Büro folgte. Die Quelle der Musik war ein Kassettenrecorder auf dem Schreibtisch. Das Lied war »A Foggy Day in London Town«, aber Brosnan kannte den Sänger nicht.
»Al Bowlly«, sagte sie.
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