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Die Teufelssonate

Die Teufelssonate

Titel: Die Teufelssonate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex van Galen
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wußte nicht mehr, was der junge Dubois genau gespielt hatte. Notovich war inmitten der Rezensenten eingeschlafen. Natürlich gab es mildernde Umstände: Er hatte zwei Nächte durchgearbeitet und beim Abendessen anderthalb Flaschen Vin de table getrunken. Senna hatte ihn wahrscheinlich geweckt. Hatte Notovich sich damals vom Publikum auf die Bühne locken lassen, um selbst ein Stück zu spielen? Um zu zeigen, wie man es machen mußte? Vielleicht hatte er Dubois danach herausgefordert, genau wie er zu improvisieren. Er erinnerte sich nicht mehr.
    Im nachhinein hatte er sich gefragt, ob er Dubois bewußt hatte erniedrigen wollen. Senna glaubte ihm nicht, daß er wirklich geschlafen hatte. »Was sollte das, Mischa? Sonst schnarchst du nie.« Dubois war kein richtiger Freund von ihnen gewesen. Ein Kollege, mehr nicht. Aber Senna war hinterher zu ihm gegangen und hatte ihn im Beisein von Notovich und allen anderen direkt auf den Mund geküßt. Nur um Notovich eine Lektion zu erteilen.
    Doch das Unheil war bereits geschehen. Der Vorfall wurde in der Presse lang und breit beschrieben, und der Ruf seines Kollegen war dadurch ein für allemal befleckt. EINSCHLÄFERNDES DEBÜT DES JUNGEN DUBOIS . Ein Foto des schlafenden Notovich und darunter der Text: SCHLAFPROBLEME ? RUFEN SIE DUBOIS AN . AUCH FÜR LOGIERBESUCHE . Senna hatte zwei Tage nicht mit ihm gesprochen.
    War das der Grund, warum Valdin unbedingt Rache wollte? Wegen so einer kindischen Sache?
 
    Valdin machte sich bereit zu spielen, und Notovich wurde auf einmal bewußt, daß er noch stand. Es gab nur einen freien Platz, und das war der neben Vivien. Er zögerte. Vivien schaute unsicher zur anderen Seite, während er sich zu ihr setzte.
    »Es tut mir leid«, sagte sie leise, ohne ihn anzusehen.
    »Was sagst du?«
    »Es tut mir so leid, Mikhael. Du hättest nie kommen dürfen.«
    Er verstand nicht, was sie meinte, aber sie konnten nicht weiterreden. Das Publikum war wieder still geworden, und Valdin schickte sich an, mit seinem Teil des Auftritts zu beginnen. Dies war also der Moment, auf den sein Rivale die ganze Zeit ausgewesen war. Notovich fragte sich, was der Franzose vorhatte und wo er diese irritierende Sicherheit hernahm.
    Bei den ersten Tönen wurde ihm klar, daß Vivien recht hatte. Valdin blickte herausfordernd in den Saal, als wollte er fragen: »Erkennen Sie die Melodie?«
    Es waren wieder die ersten Akkorde von Mazeppa .
    Erregter Applaus ertönte, der durch Valdins Spiel schnell erstickt wurde. Notovichs Eingeweide zogen sich zusammen. Einen Pianisten so ungeniert mit seinem eigenen Repertoire herauszufordern, das war schon ein Sieg für sich. Denn die meisten Anwesenden konnten doch nicht hören, wer besser spielte. Valdin hatte tatsächlich vor, Notovich zu demütigen.
    Aber es kam noch schlimmer.
    Nach den ersten Takten erklang auf einmal ein anderer Akkord, als Liszt geschrieben hatte. Und dann noch einer. Ein spürbarer Schauder ging durch den Saal, doch Valdin fuhr unbeirrt fort und nahm den Faden wieder auf. Plötzlich spielte er eine unerwartete Modulation. Notovich rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. Der Hund improvisiert über mein Stück . Valdin benutzte Mazeppa wie eine Straßenkarte. Er machte unterwegs Abstecher. Mal frivol, mal ernst und mitunter überraschend inventiv. Das Publikum hatte es schnell durchschaut, und erregte Schreie waren zu hören. Manche Leute konnten es nicht lassen, zwischendurch zu klatschen. Valdin zog jetzt alle Register. Durch die Linien von Mazeppa webte er nun auch andere Melodien. Zuerst den Anfang von Beethovens Fünfter . Dann Alle Menschen werden Brüder . Und schließlich ging er zum Walzer aus Der Pate über.
    Die Leute fanden es großartig. Sie gaben ihr Bestes, bei jedem Einfall zu zeigen, daß sie das Stück erkannten. Währenddessen folgte der Pianist stets der Struktur von Mazeppa . Es war virtuos. Es war verblüffend. Und eine schamlose Anbiederei ans Publikum. Darauf hatte Notovich keine Antwort. Er hatte seit Ewigkeiten nicht mehr improvisiert. Er wußte nicht, ob er es noch konnte, aber er wußte genau, daß er es nicht wagte. Seine Blackouts kamen fast immer bei einer Improvisation. Valdin war das natürlich bekannt. Vivien hatte recht: Er hatte Notovich genau da, wo er ihn haben wollte.
    Auf einmal wallte etwas Bedrohliches aus der Musik auf. Mit der linken Hand spielte Valdin fast unmerklich ein Thema, das Notovich kannte. Wiedererkannte. Note für Note, für ungeübte Ohren kaum

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