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Die Teufelssonate

Die Teufelssonate

Titel: Die Teufelssonate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex van Galen
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versuchte, sich auf die Musik zu konzentrieren, doch es war, als ob er sich in einer Art Vakuum befände. Er hatte keine Gewalt über seinen Körper und fühlte, daß er in die Dunkelheit hineingesogen wurde …
    Erst als er das Stück beendet hatte, drang die Außenwelt allmählich wieder zu ihm durch. Zuerst war ihm, als ob jemand in der Ferne seinen Namen riefe. Und noch jemand. Er schaute hoch und sah die Menschen im Publikum. Anfangs wie in einem Stummfilm, unscharf und schlecht belichtet. Erregte Gesichter, sich bewegende Hände. Langsam wurde der Ton von unsichtbarer Hand lauter gedreht, bis ein Orkan von Applaus und Jubel über ihn hinwegraste.
    Notovich stand auf und verbeugte sich.
    Das Publikum skandierte seinen Namen.
    Johlte nach mehr. Schrie »Bravissimo«.
    Er war verblüfft über das, was er ausgelöst hatte. Bröll erzählte ihm später, daß zwei Frauen während seines Auftritts in Ohnmacht gefallen seien, als hätte ihnen die Musik buchstäblich den Atem geraubt.
    Valdin stand an der Seite des Podiums und klatschte ebenfalls, beherrscht und anscheinend ohne jede Spur von Angst. Als der Applaus verebbte, mahnte er das Publikum zur Stille.
    »Vielleicht möchten Sie noch etwas für uns spielen, Maestro?«
    Damit hatte Notovich nicht gerechnet. Aber natürlich, Valdin hatte keine Wahl: Das Publikum war zu enthusiastisch. Wenn der Franzose jetzt selbst spielen würde, wäre das künstlerischer Selbstmord. Er mußte Notovich dazu bringen, noch etwas vorzutragen, und hoffen, daß sich die größte Aufregung schnell legen würde.
    Notovich räusperte sich.
    »Ich dachte, daß man bei einem Duell abwechselnd spielt«, antwortete er. Das Publikum lachte und schwieg dann erwartungsvoll. Er suchte Natasja, konnte sie aber nirgends finden.
    »Aber Maestro, das Publikum hat so lange auf einen Auftritt von Ihnen warten müssen«, sagte Valdin, der Blut witterte. »Ich glaube, es würde viel lieber Sie spielen hören.«
    Wieder Applaus. Und wieder erklang Notovichs Name. Es gab kein Entkommen. Während Notovich zum Flügel zurückging, hatte Valdin die Gelegenheit, endlich seine Geschichte über historische Duelle loszuwerden.
    »Warum sollten zwei Pianisten sich nicht miteinander messen können? Im Jahre 1837 trafen sich ebenfalls zwei große Pianisten zu einem solchen Kampf: Franz Liszt und Sigismund Thalberg. Jetzt fragen Sie sich vielleicht: Wer war Thalberg? Genau! Damit wissen Sie auch schon, wer das Duell gewonnen hat.«
    Alles lachte.
    »Ein Klavierduell hat keinen offiziellen Schiedsrichter. Sie, das Publikum, werden entscheiden.«
    Es hatte den Anschein, daß Valdin sich vorbereitet hatte. Notovich wünschte, er würde sich beeilen; seine Hände wurden wieder kalt. Während Valdin nicht aufhörte, über das Duell zwischen Liszt und Thalberg zu schwadronieren (ein historischer Moment!) schaute Notovich in den Saal.
    Er erzitterte. Senna saß in der ersten Reihe, genau da, wo sie immer saß. Doch nein, schlagartig wurde ihm bewußt, daß es Vivien war. Sie trug dasselbe Kleid wie an jenem Abend vor dem Concertgebouw, aber etwas war verändert, etwas Entscheidendes: Sie hatte sich die Haare schwarz gefärbt. Das Ergebnis war beängstigend. Er suchte ihre Augen, doch sie schaute zu Boden, als schäme sie sich.
    Valdin hatte Vivien offenbar überredet, noch mehr zu Sennas Doppelgängerin zu werden. Aber warum? War er so besessen von Senna, daß er sie wieder zum Leben erwecken wollte? Oder versuchte er, Notovich aus dem Gleichgewicht zu bringen?
    Valdin war endlich fertig mit seiner Geschichte. Er wandte sich zum Flügel um und grinste. Hatte er das alles geplant? Hatte Valdin gewußt, daß Notovich ihn mit einem Überraschungsauftritt überfallen würde? War seine Verblüffung gespielt gewesen? Das konnte nicht sein, dann hätte ihn jemand informieren müssen. Notovich hatte seinen Plan nur mit Bröll und Natasja besprochen.
    »Maestro Notovich und ich werden abwechselnd spielen. Und danach dürfen Sie uns kundtun, wer Ihrer Meinung nach der Sieger ist.«
    Er blickte Notovich fragend an. Der hob den Zeigefinger: noch ein Stück, und dann sei das Spielchen vorbei. Er nahm ein Taschentuch und wischte über die Tasten. Als er seine Arme gelockert hatte und die Hände wieder in seinen Schoß legte, überkam ihn eine unerwartete Ruhe. Er schaute noch einmal zu der dunkelhaarigen Vivien und wußte schon, was er vortragen würde. Er hoffte nur, diesmal nicht in ein Blackout zu gleiten.

27
    V on allen

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