Die Teufelssonate
erkannte, daß das sein Zeichen war, erhob sich aber nicht sofort. Er war nun doch nervös, und er hätte nicht vernünftig spielen können; seine Hände waren kalt.
Aber für Zweifel war es zu spät. Als sich das Publikum beruhigte, stand er auf. Langsam lief er den Mittelgang entlang zur Bühne. Valdin wollte gerade am Flügel Platz nehmen, als er Notovich erblickte. Er blieb einen Moment unschlüssig stehen und ging dann wieder nach vorn. Notovich hatte inzwischen die Stufen erreicht. Seine Beine waren unsicher, und er spürte klamme Feuchtigkeit unter dem Hemd. Bilder seines allerersten Wettbewerbs schossen ihm durch den Kopf. Welchen Preis hatte er damals noch mal errungen? Das tat jetzt nichts mehr zur Sache. Sollte sie doch alle der Schlag treffen.
Ein runder, schnaufender Mann hielt ihn auf. Valdins Agent.
»Was machen Sie?«
»Sie wollten doch, daß ich spiele?«
»Aber nicht jetzt. Ich wußte überhaupt nichts …«
»Ach, wenn ich nun schon einmal da bin.«
Notovich lief zum Flügel. Der Agent sah Valdin fragend an. Der verbeugte sich steif vor Notovich.
»Maestro, was für eine Überraschung«, rief er.
»Ja, raffiniert, was?«
»Eine riesige Ehre.«
»Meine Bedingung ist die:«, sagte Notovich leise, »Ich tue das ein Mal. Und danach erzählst du mir die Wahrheit über Senna. Denn dann kann ich das endlich hinter mir lassen. Ich bin mir nämlich sicher, daß du bluffst.«
Valdin antwortete nicht. Sein Gesicht war fahl, und er hatte Ringe unter den Augen. Notovichs Name pulsierte bereits durchs Publikum.
»Erst mal sehen, wie du hier abschneidest«, sagte Valdin mit angespanntem Grinsen. »Soll ich ein paar Worte zu den Leuten sagen?«
Notovich war es gleich. Er spähte in den Saal. War sie auch da? Von der Bühne aus sah man fast nur Dunkelheit.
»Meine Damen und Herren, darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten?«
Sofort war es mucksmäuschenstill.
»Wie sehr viele Menschen bin ich ein großer Bewunderer von Maestro Mikhael Notovich«, fuhr Valdin fort. »Und wie diese habe auch ich mir sehnlichst gewünscht, daß er wieder auftritt. Deshalb habe ich ihn vor ein paar Wochen öffentlich zu einem Klavierduell herausgefordert. Zu meiner großen Freude hat er zugestimmt.«
Applaus.
Valdin machte eine beschwörende Geste.
»Es ist nicht in Ihrem Programm angekündigt, wir müssen also ein wenig improvisieren. Und vielleicht werden Sie denken: ein Klavierduell? Was ist das? Hier kommt ein kleines Stück Musikgeschichte ins Spiel. Lassen Sie mich bei einem Herrn namens Franz Liszt beginnen …«
Notovich hatte genug gehört. Seine Finger wurden immer kälter und steifer. Außerdem wollte er nicht, daß Valdin die Gelegenheit bekam, die Zügel in die Hand zu nehmen. Er holte langsam und tief Luft und erinnerte sich an das, was Nicole zu ihm gesagt hatte.
Das ist jetzt der Moment, Notovich .
Er setzte sich an den Flügel. Er hatte nicht überprüfen können, ob das Instrument gut gestimmt war, aber auch das tat jetzt nichts mehr zur Sache. Er würde ihnen zeigen, was er konnte, notfalls auf einem alten Klimperkasten. Während Valdin noch mitten in einem Satz war, hob er die Hände über die Tasten wie ein Adler, der eine Beute im Visier hat. Valdin spürte an der Reaktion des Saals, daß hinter ihm etwas passierte. Er schwieg abrupt und drehte sich um. Da griff Notovich an …
Natasja erzählte ihm später, was geschehen war. Er hatte das Publikum mit einer intensiven, spannungsgeladenen Version des Danse Macabre , des Totentanzes hypnotisiert. Das erstaunte ihn. Er hatte vorgehabt, mit der Tarantella aus Venezia e Napoli zu eröffnen. Er konnte sich nicht erinnern, was er vorgetragen hatte, aber es war kein totales Blackout gewesen.
Während des Totentanzes war er sich seines Spiels durchaus bewußt. Nicht auf die normale Weise. Die Bewegungen seines Körpers, das Gefühl in seinen Händen und die Musik drangen vage zu ihm durch, wie durch einen dicken Schleier. Als ob sich alles in einem anderen Raum abspielte. Als ob er seinen Körper verlassen hätte und von einer anderen Ebene aus zuschaute.
Aber das war nicht das einzige. Er hatte das dumpfe Empfinden, daß sich noch etwas hinter diesem Schleier befand und ihn beobachtete. Etwas Dunkles, das schon immer da gewesen war und all die Jahre auf ihn gewartet hatte. Geduldig. Uralt. Es war dieselbe Kraft, die er in seinem Traum von Senna gespürt hatte. Zwei Augen blickten ihn aus dem Schatten an und schienen ihn an sich zu ziehen. Er
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