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Die Teufelssonate

Die Teufelssonate

Titel: Die Teufelssonate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex van Galen
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Kompositionen Liszts hatte Senna nur ein wirkliches Lieblingsstück. Nicht den Liebestraum oder eine andere schwärmerische Melodie, sondern die meisterhafte Etüde Mazeppa . Dieses Werk geht auf ein Gedicht von Victor Hugo zurück, das von einem jungen Liebhaber, Mazeppa, handelt, der mit der Frau eines mächtigen Mannes ertappt wird. Er wird schwer bestraft: Sie binden ihn nackt auf ein wildes Pferd und geben dann dem Pferd die Sporen. Es folgt ein höllischer Ritt, den Mazeppa mit knapper Not überlebt. Die Geschichte hatte Senna sehr gerührt. Nicht wegen Mazeppa, sondern wegen des armen Tiers, das am Ende der Geschichte erschöpft zusammenbricht.
    Notovich schlug die ersten Akkorde an.
    Er war einer der wenigen Pianisten, die sich an den eigenartigen Fingersatz hielten, den Liszt sich für manche Passagen ausgedacht hatte: mit Zeige- und Ringfinger zugleich werden immer zwei Noten in einem rasanten Tempo angeschlagen. Das war schwierig und unhandlich, aber so klang es wie galoppierende Hufe. Eine glänzende Erklärung, wie Senna fand.
    Senna .
    Es war ihm gleichgültig, was Valdin über ihn dachte. Was die Leute von ihm hielten. Es war ihm sogar gleichgültig, ob sie echt war, dort in der ersten Reihe: Er spielte es für sie. Während er sich in die Musik hineinbegab, verlor die Welt um ihn herum ihre Konturen. Das Gefühl, daß Senna bei ihm war, wurde immer stärker. Als würde die Musik sie wieder zum Leben erwecken.
    Senna .
    Sie war jedesmal wie Wachs in seinen Händen gewesen, wenn er dieses Stück gespielt hatte. Sie hatte mit Mazeppas Pferd mitgelitten. Kurz bevor es zusammenbricht, zwingt sich das arme Tier noch einen tapferen Galopp ab. Es sei eine Ode an die Erniedrigten und Beleidigten, hatte sie einmal gesagt. Im nachhinein erschien ihm ihre Obsession mit diesem Stück fast prophetisch, aber daran versuchte Notovich jetzt nicht zu denken.
    Abermals merkte er, wie er allmählich aus seinem Körper herausgezogen wurde. Er wollte sich wehren, doch er durfte die Konzentration nicht verlieren. Schon bald hatte er keine Gewalt mehr über sich. Er fühlte sich wieder von etwas belauert, das ihn aus dem Schatten beobachtete. Er bekam Beklemmungen, spürte, wie die Dunkelheit ihn umfaßte. Irgendwo weit unter ihm spielte jemand Mazeppa . Es war die Musik, die das mit ihm machte, die die Dunkelheit heraufbeschwor. Er konnte sich nicht befreien, und das Schwarz verschluckte ihn langsam, aber sicher. Dann verschwand alles im Nichts.
 
    Es dauerte eine Ewigkeit, bis er in der Lage war, aufzuschauen und den Applaus entgegenzunehmen. Schwankend stand er auf, ihm war übel. Er verbeugte sich mühsam. Der Beifall hielt minutenlang an. Er wußte, daß er einen Schlag ausgeteilt hatte. Und alle schienen dasselbe zu denken: Notovich ist zurück. Und das war auch so. Er war zurück.
    Valdin lief nach vorn und warf die Arme in die Luft, als wollte er sagen: Was soll ich dagegen noch ausrichten? Aber er schien keine wirkliche Unsicherheit auszustrahlen. Notovich fragte sich, ob er ihn unterschätzt hatte. Wie lange hatte Valdin sich auf diese Konfrontation vorbereitet? Was hatte er vor? Notovich ging die Treppe hinunter und passierte seinen Rivalen, der das Podium bestieg.
    »Ich will es jetzt wissen«, flüsterte Notovich.
    »Bitte?«
    »Sennas Tod. Was hast du mir zu erzählen?«
    »Muß das jetzt sein? Wir können die Leute nicht warten lassen.«
    »Ich will es jetzt wissen. Ich habe ein Recht darauf.«
    Es war ihm egal, ob das Publikum ihn hören konnte. Er wollte den Spielchen ein Ende machen. Das Lächeln wich aus Valdins Gesicht. Er beugte sich vor, so daß Notovich ein scharfer Schweißgeruch in die Nase stieg.
    »Sie wird dich immer verfolgen, solange du nicht zugibst, was du ihr angetan hast.«
    »Warst du dabei? Sag doch was!«
    »Ganz ruhig«, entgegnete Valdin. »Ich halte immer Wort. Aber eins nach dem anderen. Zunächst werde ich dir einmal zeigen, wie gut ich geworden bin. Also nicht einschlafen, ja? Wie beim ersten Mal.«
    »Einschlafen? Was meinst du damit?«
    Valdin warf den Kopf in den Nacken und lachte laut, wie um das Publikum glauben zu lassen, daß Notovich gerade einen großartigen Witz erzählt habe. Dann setzte er sich an den Flügel.
 
    Sein Name war damals nicht Valdin gewesen, sondern Dubois. Notovich sah ihn auf einmal klar vor sich, auf einer Ankündigung: Heute abend, Jean-Luc Dubois, Debütkonzert . Jetzt kam alles wieder zurück. Er hatte mit Senna in der ersten Reihe gesessen. Er

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