Die Therapie: Psychothriller (German Edition)
Achseln.
»Ist mir egal. Glauben Sie, was Sie wollen. Ich schlaf jedenfalls besser, wenn ich weiß, dass Sie bewaffnet sind. Sie ist es ja auch.«
Viktor hatte keine Ahnung, was er darauf erwidern sollte. Dann fiel ihm etwas anderes, ebenso Wichtiges ein, und er hielt Halberstaedt, der sich zum Gehen umgewandt hatte, am Arm zurück.
»Mal was ganz anderes. Haben Sie vielleicht meinen Hund gesehen?«
»Ist Sindbad tot?«
Die brutale Frage traf ihn völlig unvorbereitet, wie die Ausläufer einer seismografischen Schockwelle. Viktor fühlte sich dem Epizentrum der Erschütterung dabei sehr nahe.
»Wie kommen Sie darauf? Ich meine … Nein. Ich hoffe doch nicht. Er ist nur weggelaufen. Ich hatte es Ihnen auch auf den Anrufbeantworter gesprochen.«
»Hmm, verstehe«, sagte Halberstaedt leise und dabei nickte er leicht mit seinem Kopf. »Ich hab Ihnen gleich gesagt, mit der Frau stimmt etwas nicht.«
Viktor wollte erwidern, es gebe keinen Beweis dafür, dass Anna mit Sindbads Verschwinden zu tun haben könnte, behielt den Einwand jedoch für sich.
»Ich werde die Augen und Ohren offen halten«, versprach Halberstaedt, aber es klang nicht so, als ob er es ernst meinte.
»Danke.«
»Und Sie sollten dasselbe tun. Nicht nur wegen des Hundes. Die Frau ist gefährlich.«
Der Bürgermeister ging grußlos.
Nachdem Viktor ihm eine Minute lang hinterhergesehen hatte, begann er so stark zu frieren, dass er wie ein kleiner Junge, der zu lange im Schwimmbad gewesen ist, mit den Zähnen klappern musste. Er schloss schnell die Tür, bevor der Wind weitere Kälte und Nässe ins Haus treiben konnte.
Noch in der Diele überlegte er, ob er die Pistole gleich in die Mülltonne vorm Haus werfen sollte. Waffen waren ihm unheimlich, und er wollte schon aus Prinzip keine in seiner Reichweite haben. Schließlich legte er das ungeöffnete Päckchen in die unterste Schublade der Mahagoni-Kommode im Flur und beschloss, es Halberstaedt gleich morgen wieder zurückzugeben.
Die nachfolgenden Minuten starrte er gedankenverloren auf die langsam erlöschende Glut im Kamin und fragte sich, was er von den Ereignissen der letzten Stunden halten sollte.
Sindbad war verschwunden.
Jemand, eine junge Frau, vielleicht ein Mädchen, war in seinen Wochenendbungalow eingebrochen und hatte dort ihre Menstruation bekommen.
Und der Bürgermeister der Insel brachte ihm eine Schusswaffe vorbei.
Viktor zog die Schuhe aus und legte sich auf die Couch. Er griff in seine Hosentasche und schluckte seine letzte Valium-Tablette, die er sich eigentlich für heute Nacht aufgehoben hatte. Dann wartete er auf die entspannende Wirkung, die hoffentlich auch seine Grippesymptome mildern würde. Er schloss die Augen und versuchte, den Druck loszuwerden, der sich wie ein Stirnband um seinen gesamten Kopf gelegt hatte. Für einen kurzen Moment gelang es ihm sogar, und eines seiner Nasenlöcher war zum ersten Mal seit langer Zeit nicht mehr vollständig verstopft. Dadurch konnte er den schweren Parfumgeruch wieder riechen, den Anna hinterlassen hatte, als sie noch vor einer halben Stunde genau an dieser Stelle saß.
Viktor dachte nach. Er wusste nicht, was ihm im Moment größere Sorge bereitete: das unheimliche Verhalten von Anna oder die geheimnisvollen Orakel des Bürgermeisters.
Er hatte sich noch nicht entschieden, als ein Albtraum von ihm Besitz ergriff.
24. Kapitel
D er Traum kehrte seit Josys Verschwinden in unregelmäßigen Abständen immer wieder. Aber egal, ob ihn der Albtraum mehrmals in der Woche oder nur einmal im Monat heimsuchte – seine Struktur änderte sich nie.
Immer war es mitten in der Nacht, Viktor saß am Steuer seines Volvos, Josy neben ihm auf dem Beifahrersitz. Viktor hatte von einem neuen Spezialisten im Norden gehört, der seinem Kind eventuell helfen konnte. Und jetzt waren sie schon seit Stunden unterwegs zu dessen Praxis am Meer. Der Wagen fuhr viel zu schnell, aber Viktor schaffte es nicht, einen niedrigeren Gang einzulegen. Obwohl Josy ihn bat, das Tempo zu drosseln, gelang es ihm nicht. Zum Glück führte die Straße zum Meer immer geradeaus. Ohne Kurven, ohne Abzweigungen. Nirgendwo waren Verkehrsampeln zu erkennen oder Straßenkreuzungen. Hin und wieder kam ihnen ein anderes Fahrzeug entgegen, aber die Straße war breit genug, und sie waren trotz ihrer überhöhten Geschwindigkeit nie in einer gefährlichen Situation. Nach einiger Zeit fragte Viktor, ob sie nicht schon längst am Meer sein müssten. Josy zuckte nur mit den
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