Die Therapie: Psychothriller (German Edition)
vielleicht kurz in der Küche und habe Tee gemacht, und sie muss die Gelegenheit dazu genutzt haben, als es klingelte.«
»Es hat nicht geklingelt.«
»Wie bitte?«
»Sie war sofort dran. Sie wird neben dem Telefon gewartet haben.«
Viktor fühlte, wie ihm mehr und mehr der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Irgendetwas stimmte hier wieder ganz und gar nicht. Etwas, was er sich nicht erklären konnte.
»Isabell, ich kann mir nicht erklären, warum sie das getan hat. Seitdem sie hier aufgetaucht ist, passieren die merkwürdigsten Dinge. Ich bin krank. Jemand hat mich überfallen. Und ich glaube, diese Anna hat Informationen über Josy.«
»Was?«
»Ja. Schon die ganze Zeit über habe ich versucht, dich zu erreichen. Ich wollte dir sagen, dass es vielleicht eine Spur gibt. Kai ist schon wieder an der Sache dran. Und irgendjemand hat unser Konto leer geräumt. Ich versteh das auch alles nicht und wollte es mit dir besprechen. Doch ich hab dich tagelang nicht an die Strippe bekommen. Stattdessen finde ich heute das Telegramm von dir.«
»Ich habe dir ein Telegramm geschickt, weil ich dich telefonisch nicht erreichen konnte.«
Die Leitung.
»Ich weiß. Irgendjemand hat gestern Abend den Stecker herausgezogen.«
»O bitte, Viktor. Strapazier meine Intelligenz nicht zu sehr. Eine Frau taucht aus dem Nichts auf, gibt dir Informationen über unsere Tochter, geht dann an unser Telefon, verplappert sich und zieht danach den Stecker raus? Was hast du noch auf Lager? Die Geschichte vom einmaligen Seitensprung mit der Inselnutte, als du betrunken warst, wäre glaubwürdiger.«
Viktor hatte den Rest des Satzes gar nicht mehr gehört. Bereits nach den ersten Worten war bei ihm eine Alarmglocke angegangen.
»Worüber habt ihr gesprochen?«
Sie hat sich verplappert.
»Wenigstens hat sie mich nicht angelogen. Sie sagte, du wärst gerade unter der Dusche.«
»Das ist eine Lüge. Ich war in der Küche. Ich habe kurz mit Kai telefoniert und sie danach rausgeschmissen.« Jetzt war Viktor der Hysterie nahe und schrie in den Hörer. »Ich habe nichts mit dieser Frau, ich kenne sie kaum.«
»Oh, dafür kennt sie dich aber umso besser.«
»Wieso?«
»Sie nannte dich bei deinem Spitznamen. Den du doch so hasst und der außer deiner Mutter angeblich nur mir bekannt ist.«
»Diddy?«
»Ja, Diddy. Und weißt du was, Diddy? Du kannst mich mal!«
Mit diesen Worten legte sie auf, und aus der Leitung kam nur noch ein anhaltender, durchdringender Ton.
40. Kapitel
S o lange Viktor sich zurückerinnern konnte, hatte er noch nie eine solche Beklemmung gefühlt, wie sie jetzt sein gesamtes Leben im Würgegriff hielt. Es war nicht das erste Mal, dass eine Patientin Grenzen überschritt und ihn belästigte. Aber allen bisherigen Einmischungen in sein Privatleben lag ein pathologisches, aber dennoch erkennbares Muster zu Grunde. Bei Anna jedoch kam die Bedrohung aus dem Verborgenen, dem Unerklärlichen. Was wollte sie? Warum gab sie sich den Namen einer ermordeten Studentin und belog sogar Isabell, seine Frau? Und die wichtigste Frage: Was hatte das alles mit Josy zu tun?
Viktor wusste, dass er irgendetwas übersehen haben musste. Alle Ereignisse der letzten Tage waren miteinander verwoben und verknüpft. Sie folgten einem unsichtbaren Plan, den er nur dann begreifen würde, wenn er die Glieder in der Kette der Merkwürdigkeiten in die richtige Reihenfolge bringen konnte. Und das wollte ihm nicht gelingen.
Wenigstens ging es ihm körperlich etwas besser, da er seit gestern keinen Tee mehr getrunken hatte. Er duschte sich ausgiebig und zog sich um.
Langsam muss ich mal die Waschmaschine füllen und in Betrieb nehmen, dachte er noch, als er die Levis-Jeans von vorgestern noch einmal anziehen wollte. Er drehte die Hosentaschen von innen nach außen und schmiss alle Taschentücher weg, die sich angesammelt hatten. Dabei fiel ein kleiner Zettel zu Boden und schon, als er sich nach ihm bückte, wusste er, dass er ihn die letzten Tage über vergessen hatte. Er war aus Annas Portemonnaie gefallen, und Viktor hatte ihn damals hektisch eingesteckt und vergessen. Der Zettel war wie ein kleiner Liebesbrief gefaltet, den sich Teenager verstohlen unter der Schulbank zustecken. Er wusste nicht, womit er gerechnet hatte, aber er war dennoch enttäuscht, als er die Zahlenfolge darauf las. Es konnte alles Mögliche sein: ein Zifferncode für ein Bankschließfach, eine Kontonummer, ein Internet-Passwort oder das Naheliegendste: eine
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