Die Therapie: Psychothriller (German Edition)
Warum hast du mir ein Telegramm geschickt?«
»Ha!« Auf Isabells Ausruf folgte eine wütende Stille, begleitet von einer transatlantischen atmosphärischen Störung.
»Liebling.« Viktor hakte zaghaft nach. »Was ist denn los?«
»Nenn mich nicht Liebling. Nicht nach dem, was gestern passiert ist.«
Jetzt war es Viktor, der langsam wütend wurde und den Hörer von einem Ohr zum anderen wechselte.
»Würdest du die Güte haben, mich endlich aufzuklären, anstatt mich anzubrüllen?«
»Also, gut, du willst dein Spielchen spielen, dann bekommst du es. Beginnen wir zuerst mit einer ganz einfachen Frage: Wer ist die Schlampe?«
Viktor lachte erleichtert auf und spürte, wie sich eine zentnerschwere Last von seinem Brustkorb löste. Anscheinend dachte Isabell, er würde den Inselausflug für eine Affäre missbrauchen.
»Lach nicht so dumm wie ein Schuljunge, Viktor. Und halt mich bitte nicht für blöd.«
»Hey, hey, hey … Isabell, bitte. Du glaubst doch wohl nicht, dass ich dich betrüge? Das ist doch Irrsinn! Wie kommst du denn auf diese Idee?«
»Ich sagte, du sollst mich nicht für blöd halten. Sag mir einfach, wer die Schlampe ist!«
»Wovon redest du?« Viktors Wut kehrte wieder zurück.
»Von der, die gestern an das beschissene Telefon ging, als ich dich angerufen habe«, schrie sie in den Hörer.
Viktor blinzelte irritiert mit den Augen und versuchte, das Gehörte zu verarbeiten.
»Gestern?«
»Ja, gestern. Halb drei nach deiner Zeit, wenn du es genau wissen willst.«
Anna. Sie war gestern Nachmittag bei ihm gewesen. Aber sie konnte doch nicht ans Telefon …?
Die Gedanken rasten durch Viktors Hirn. Für einen kurzen Moment fühlte er dieselbe Gleichgewichtsstörung wie ein Passagier nach einem Langstreckenflug.
»Geht das schon lange mit euch beiden? Hä? Du heuchelst etwas von Abstand. Gibst vor, an dem Interview zu arbeiten. Und benutzt das Andenken unserer Tochter, um eine andere zu ficken?«
Ich war doch die ganze Zeit bei ihr. Die ganze Zeit bis auf …
Die Küche. Der Tee.
Viktor musste sich hinsetzen, als ihn die Erinnerung wie ein Bumerang traf.
Aber er war doch nur kurz …
»Anna.«
»Okay, Anna. Und wie heißt sie weiter?«
»Was?«
Offenbar hatte er, in Gedanken versunken, ihren Namen ausgesprochen.
»Hör zu, Isabell. Das ist alles ein großes Missverständnis. Du verstehst es falsch.«
O Gott, ich höre mich tatsächlich an wie ein Ehemann, der seine Frau mit der Sekretärin betrügt. – Schatz, es ist nicht das, wonach es aussieht.
»Anna ist eine Patientin!«
»Du bumst eine Patientin?«, schrie sie hysterisch.
»Um Himmels willen, nein! Ich habe nichts mit ihr.«
»Ha!« Wieder das höhnische, laute Lachen. »Nein, natürlich hast du nichts mit ihr. Sie ist einfach so in unserem Strandhaus aufgetaucht. Obwohl du gar keine Patienten mehr behandelst. Und obwohl sie gar nicht wissen kann, dass du dich zur Zeit auf Parkum aufhältst! O Scheiße! Ich glaube, ich lege auf. Das ist zu erniedrigend für mich.«
»Isabell, bitte. Ich kann dich verstehen, aber gib mir die Chance, dir das alles zu erklären. Bitte.«
Stille am anderen Ende. Nur die durchdringende Sirene eines amerikanischen Rettungswagens schaffte den Weg über den Atlantik.
»Hör zu. Ich habe selber keine Ahnung, was hier los ist. Ich weiß jedoch ganz genau, was nicht geschehen ist: Mit der Frau, mit der du gestern telefoniert hast, habe ich definitiv nicht geschlafen. Und ich habe auch nicht vor, dich jemals zu betrügen. Bitte akzeptiere das als Basis unseres Gesprächs. Denn alles andere kann ich mir auch nicht erklären. Fakt ist: Vor fünf Tagen klopfte es an meine Tür, und eine Frau – sie nennt sich Anna Spiegel – bat darum, von mir behandelt zu werden. Sie ist angeblich Kinderbuchautorin und leidet unter schizophrenen Wahnvorstellungen. Mir ist es völlig rätselhaft, wie sie mich hier ausfindig gemacht hat, und ich weiß noch nicht einmal, wo sie auf der Insel wohnt. Ich weiß nur, dass ihre Krankheitsgeschichte so außergewöhnlich und so interessant ist, dass ich tatsächlich eine Ausnahme gemacht und ein therapeutisches Vorgespräch mit ihr geführt habe. Eigentlich ist sie zurzeit nur noch auf der Insel, weil ein Sturm aufgezogen ist und die Fähre nicht zum Festland übersetzen kann.«
»Nette Geschichte. Gut zurechtgelegt«, zischte Isabell zurück.
»Das ist keine Geschichte. Das ist die Wahrheit. Keine Ahnung, warum sie gestern an unser Telefon gegangen ist. Ich war
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