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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Zusammenhänge im menschlichen Körper zu erkennen. Als Studentin glaubte ich, daß asiatische und westliche Medizin unvereinbar seien. Doch so, wie ich die Dinge jetzt sehe, wie ich sie fühle, betrachte ich unsere Kenntnisse als gemeinsamen Erfahrungsschatz. Manche Ärzte wenden schon beide Verfahren an.«
    »Haben Sie je darüber nachgedacht, diesen Weg einzuschlagen?«
    »Den Gedanken hatte ich oft.«
    »Es ist nicht ganz realistisch, oder?«
    »Ich weiß es nicht. Es ist nur eine Möglichkeit.«
    Danach unterhielten wir uns über die Sendung. Sie wurde zwei Tage später, vor den Abendnachrichten, ausgestrahlt; ich hatte keinen Fernseher, aber meine Schwester nahm die Sendung auf Video auf. Roman rief ein paar Tage später an.
    »Nun? Wie hat Ihnen die Sendung gefallen?«
    »Gut.«
    »Die Reaktionen sind ausnehmend positiv. Sie haben dazu beigetragen. Tibetische Flüchtlinge genießen viel Sympathie.«
    »Wohl deshalb, weil sie keine Bomben legen.«
    Er sagte, daß er mich gern wiedersehen würde, und lud mich zum Essen ein.
    »Am Donnerstag, da ist doch Ihr freier Nachmittag?«
    »Wenn kein Notfall eintrifft. Doch, ich komme gerne.«
    Ich hatte im Augenblick eine sentimentale Flaute, war seit zwei Monaten im Labor eingesperrt. Roman sah gut aus. Ich fand ihn ausgeglichener, weniger von sich eingenommen und neuen Ideen gegenüber aufgeschlossener als meine Arztkollegen, die einen akuten Größenwahn mit sich herumschleppten.
    Wir trafen uns bei einem Italiener an der Schifflände, bestellten Carpaccio, dann Risotto mit Safran und Pilzen; als Tibeterin mag ich Fisch nicht besonders. Es war ein dunstiger Septemberabend, mit einem Nachgeschmack von Sommer. Der See leuchtete lila; ein 27
    weißes Schiff legte vom Ufer ab. Die Sonne spiegelte sich in den Scheiben. Auf der Bellerivebrücke stauten sich Straßenbahnen.
    Zürich im Abendlicht zeigte sich wohlwollend, melancholisch und von jener leicht künstlichen Anmut, die Schweizer Städten oft zu eigen ist.
    Roman war ein guter Weinkenner; der frische, sprudelnde Chianti betörte mit seinem Kirscharoma. Bald nannten wir uns bei den Vornamen. Roman erzählte von sich. Er war verheiratet gewesen und hatte eine kleine Tochter, die in Genf bei seiner geschiedenen Frau – eine Bodenangestellte bei der Sabena – lebte.
    Er zog seine Brieftasche hervor, zeigte mir das Bild von einem Mädchen im Vorschulalter.
    »Sie heißt Anna.«
    Anna war blondgelockt. Naturkrause. Ich seufzte, hingerissen und etwas neidisch.
    »Sie wird sehr hübsch werden. Sie ist es jetzt schon.«
    »Und du? Warst du nie verheiratet?«
    Ich drehte mein Weinglas zwischen den Fingern.
    »Einmal traf ich einen Italiener im Labor. Er wollte, daß ich mit ihm nach Verona gehe, ihn heirate und Bambini zur Welt bringe. Ich war nicht einverstanden.«
    »Und da ließ er dich in Ruhe?«
    »So nach und nach… «
    »Hattest du viele Bekannte?«
    Diese Frage hätte kein Tibeter gestellt. Der Anstand läßt es nicht zu, daß wir in die Privatsphäre eines Menschen eindringen.
    Zeitweise fühle ich mich als Schweizerin; in solchen Momenten werde ich ganz und gar Tibeterin, konservativ bis in die Knochen.
    Aber die Sprache der Medienmacher kennt keine feinen Nuancen.
    Ich reagierte locker.
    »Dieser und jener. Nie etwas wirklich Festes.«
    Jedes Leben kennt mehr oder weniger gefühlvolle Episoden. Ich glaubte eine Zeitlang zu lieben und zu leiden – auch das gehörte dazu. Viel Energie war dabei verlorengegangen, aber das machte nichts. Richtige Liebe schmerzt, wie eine Geburt schmerzen muß.
    Und ich wünschte mir ein ungemindertes Schmerzempfinden, um die lebendige Wunde zu spüren. Inzwischen bohrte Roman weiter.
    »Hattest du nie einen tibetischen Freund?«
    »Doch. Als Siebzehnjährige verliebte ich mich in Nambol. Ein hübscher Kerl, oh ja! Amla schleppte mich zu einem Frauenarzt, der 28
    mir die Pille verschrieb, und schickte uns ins Tessin in die Ferien.
    Die Reise war ein Reinfall, wir fuhren getrennt zurück. Amla wußte schon, was sie tat. Ob mein Vater informiert war, weiß ich bis heute nicht.«
    Roman war überrascht.
    »Deine Mutter ist sehr fortschrittlich.«
    »Das ist sie.«
    Auch später, als ich mein Studio bezog, lebte ich nur sporadisch als tugendhafter Single. Meine Eltern dachten sich ihren Teil, obwohl wir nie darüber sprachen.
    Der Wein machte mich leicht benommen. Ich sagte zu Roman:
    »Nichts macht selbstsicherer, als Kranke zu heilen. Wir öffnen ihren Körper, entnehmen Gewebeproben,

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