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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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schneiden an ihren Organen herum, schnipp, schnipp!«
    »Das klingt ziemlich zynisch.«
    »Ich will damit nur sagen, daß wir eine Verantwortung tragen. Wir müssen immer das Richtige tun. Und dürfen nie unser Mitempfinden verlieren, das wäre das Ende.«
    »Glauben Ärzte, daß sie Macht über den Tod haben?«
    »Nein. Sie haben – bisweilen – Macht über die Krankheit.« Der Risotto kam. Der Teller war heiß. Ich kostete vorsichtig.
    »Unser Beruf verlangt menschliche Anteilnahme. Wer glaubt, es sich leisten zu können, am Bett eines Kranken unbeteiligt zu sein, sollte Steuerberater werden.«
    Zuhören war eine Sache, die Roman gut konnte. Seine dunklen Augen blickten mich aufmerksam an. Vielleicht war es der Wein, aber ich war dabei, mich in ihn zu verlieben.
    An diesem Abend schliefen wir miteinander, bei mir in der Ackersteinstraße, und im Laufe der nächsten Wochen pendelte sich unser Verhältnis recht gut ein. Er hatte einen festen, lebendigen Körper und Bewegungen, die er gut beherrschte. Er löschte nie das Licht; er wollte nicht, daß wir uns im Dunkeln liebten. Es machte ihm Spaß, mich anzuschauen. Er sagte, meine Haut sei ganz anders als die Haut der Europäerinnen, die immer – an irgendeiner Stelle –
    ein wenig rauh sei. Bei einer Asiatin, meinte er, ist alles anders: die Haut liegt fest und geschmeidig an, die Muskeln zeichnen sich wie eine Skulptur ab, die Knochen sind gelenkig. Es gefiel ihm, wie ich ihn anfaßte, mit sanftem, wissendem Griff. Freudig überließ er sich meinen Fingern, die alle empfindlichen Stellen kannten, Muskeln und Haut sanft zu kneten wußten. »Du bescherst mir Höhepunkte«, 29
    stöhnte Roman. »Wie machst du das nur?« Ich lachte leise: »Ich bin sehr geschickt!« Er war keineswegs der erste, der sich gerne von mir streicheln ließ. Die Arbeit unter dem Mikroskop machte mich feinfühlig. Oder vielmehr, ich glaubte, daß es so war; es gehörte zu meiner Art, daß ich mir über diese Dinge wenig Gedanken machte.
    Roman war zärtlich und aufmerksam, aber auch scharf auf Experimente, kam manchmal auf abwegige Gedanken. Tibeter sind in diesen Dingen nicht zimperlich. Aber mit Unterhaltung allein ist der Liebe nicht beizukommen. Eine Frau kann nicht nur mit den Händen, sondern mit dem ganzen Körper lügen; so wird die Liebe –
    oder was man dafür hält – zur erfundenen Wahrheit. Vor zehn Jahren hätte es mich geschmerzt. Später ist es nicht mehr schmerzlich, weil man kompromißbereit wird. Mir tat es leid zu sehen, wie ich mit meinen Gefühlen falsch umging. Ich könnte es auch anders ausdrücken: Mir war, als ob sich in einem komplizierten Gewebe eine Masche gelockert hatte. Ich zog an einem einzigen Faden und brachte das ganze Gewebe dazu, sich aufzulösen.
    30

3. Kapitel

    V or der Kamera damals hatte ich unsere Flucht aus Tibet nur beiläufig erwähnt. Später wollte Roman mehr wissen. Ich ließ seine Fragen zu; sie waren konventionell, und ich rechnete es meiner Geduld hoch an, daß ich ihm immer wieder Antworten gab, die er sich kaum anhörte und auch nicht immer behielt. So kam ich auf Einzelheiten zu sprechen. Ich gestand ihm, daß ich über vieles schlecht unterrichtet war. Meine Eltern pflegten keinen rhethorischen Eifer. Amla war eine Frau mit Geschmack und von feiner Lebensart.
    Was sie erzählte, war durchdacht, überlegt, kultiviert und unterkühlt.
    Sie erweckte nie den Eindruck, daß sie bedroht und wehrlos sein könnte. Der Eindruck täuschte; die Erinnerungen waren lebendig in ihr. Sie brannten hell wie Feuer, waren oft unerträglich, auch ohne Wehklagen oder Geschrei. Und Vater – nun, Vater rauchte seine tibetische Pfeife und schwieg. Ich sah ihn wie hinter Wolken: ein schmaler, stiller Mann, der die Pfeife unendlich langsam zum Mund führte. Ich hatte ihn nie anders als wortkarg gekannt. Es handelte sich wohl weniger um eine psychologische Verschrobenheit als vielmehr um eine Art Unfähigkeit, seinen Gedanken Ausdruck zu geben. Als wisse er nicht, was er sagen wollte, wie er es sagen mußte… wenn er es hätte sagen können. Als sei Sprechen die komplizierteste Sache der Welt. Schon als Mädchen hatte ich mich gewundert, wie Amla mit ihm zurechtkam. Aber so lange ich denken konnte, war es zwischen Amla und Pala nie zu einer Meinungsverschiedenheit gekommen, geschweige denn zu einem Streit. Meine Eltern führten mich nie hinters Licht, erzählten auch nie etwas Großartiges, doch auch das Fadenscheinige hatte seine Wirkung.
    »Wir wollen

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