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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Yat-Sen übersetzt hatte. Rapgya und seine Brüder waren keine Kommunisten, sondern lediglich von gewissen Idealen der Linken getragen. Die Verlogenheit der Chinesen hatte sie schnell ernüchtert. Innerhalb weniger Monate waren aus den Brüdern Tsang glühende Nationalisten geworden. Ihre Bemühungen, in Tibet eine politische Einheit herbeizuführen, waren gescheitert. Trotzdem waren ihre Verwegenheit, ihre Freude an schönen Pferden, am Wetten, Trinken und Schießen zur Legende geworden.
    Ehrfurchtsvolles Schweigen entstand, als Rapgya erneut das Wort ergriff. Atemlos hörten ihm alle zu; er ließ uns wissen, daß wir auf die Unterstützung der USA zählen konnten. Bereits 1944, nach der Schließung der Grenze nach Burma, war die CIA bestrebt gewesen, eine Verbindungsstraße nach China offenzuhalten. 1950 hatte Tibet erfolglos die Vereinigten Nationen aufgerufen, das Eindringen der Chinesen zu verurteilen. Tibets Gesuch wurde abgelehnt und kam sechs Jahre lang nicht mehr zur Sprache. Den USA wäre es nicht im Traum eingefallen, auch nur den kleinen Finger für uns zu rühren.
    Doch auf einmal horchte man auf. Der Einfluß von Senator Joseph McCarthy hatte seinen Höhenpunkt erreicht. Der Kommunismus war nun zu bekämpfen.
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    Welche Unterstützung war von den Amerikanern zu erwarten?
    Ironischerweise kam die Antwort von Tai-Wan. Die chinesischen Nationalisten hatten begriffen, daß die Khampas im Begriff waren, das zu erreichen, wovon Tchang Kai-Tscheck nur träumen konnte: die Walze der Volksarmee stillzulegen. Und so kam es, daß sich die USA gewillt zeigten, mit Hilfe der Tai-Wan Chinesen die
    »unwissenden Barbaren und Diebe« für ihre Zwecke einzuspannen.
    Dabei spielten die Brüder Pangda, die für ihre Geschäfte regelmäßig nach Indien reisten, als Mittelsmänner eine wesentliche Rolle.
    Alle Ratsteilnehmer zeigten offen ihre Erregung. Mit amerikanischer Hilfe konnten sie die Volksarmee schlagen! Doch Rapgya kannte die Menschen und winkte ab, mit müdem Sarkasmus.
    »Sie benutzen uns für ihre Sache. Das läßt sich nicht vermeiden.
    Aber wir können Nutzen daraus ziehen. Sie haben Waffen und Material. Wir haben die Männer, und wir haben das Geld, sei es in Form von Gold, Silber, Reis oder Vieh. Geld ist das Rad des Lebens, Profit schmiert dieses Rad. Wir können uns zusammentun und die Waffen finanzieren, die wir brauchen.«
    Shelo ergriff in dieser Beratung nur einmal das Wort. Doch wie stets war das, was sie sagte, von Bedeutung.
    »Im Winter«, sprach sie, »verzehren die Menschen die Ernte des Sommers. Stimmen wir für den Krieg, ist die nächste Ernte nicht gewährleistet. Ein harter Winter könnte auch bewirken, daß der Viehbestand sinkt. Eine Hungersnot würde die Folge sein, und dann dürfte es dem Feind leichtfallen, uns zu schwächen. Wir sollten ausreichende Vorräte anlegen.«
    Die Ratsmitglieder tauschten Blicke und nickten. Der Abt schlug vor, die Vorräte in die Kasematten des Klosters zu schaffen, die genug Raum boten, um im schlimmsten Fall einer Belagerung standzuhalten. Zum Glück war die Ernte gut gewesen. Ferner sollten die Geldschätze als Reserve für die Kriegskosten und einen Notbestand an einem sicheren Ort aufbewahrt werden. Mein Onkel Tenpa Rimpoche riet uns, die Befestigungsmauer zu stärken. Die Beratung dauerte Stunden, und als endlich die Sitzung aufgehoben wurde, stürmte ich sofort nach draußen. Nach einer Weile sah ich Rapgya, umgeben von seinem Gefolge, mit eiligen Schritten über den Hof kommen. Ein Stallknecht wollte ihm den Steigbügel halten.
    Als Knabe war ich flinker – aber nicht flink genug. Denn Rapgya Pangda Tsang warf seinen Mantel zurück und schwang sich mit einer einzigen leichten und sicheren Bewegung in den Sattel. Ich aber ließ 302
    den Steigbügel nicht los und rief zu ihm empor: »Herr, wenn ich erwachsen bin, will ich ein großer Kämpfer sein, wie du! «
    Er lachte. Seine Augen funkelten etwas gönnerhaft; ich merkte, daß er alt genug war, um sich geschmeichelt zu fühlen.
    »Du wirst schon bald kämpfen, mein Junge. Im Frühling sind keine Chinesen mehr da. Wir werden sie alle verjagt haben! «
    Mit diesen Worten bohrte er seine stumpfen Sporen in die Flanken des Fuchses und sprengte über den Hof. Sein blauer Mantel blähte sich im Wind; es war, als ob Schwingen ihn trugen. Für solche Augenblicke lebt jeder Junge. Ich hatte einen Helden gesehen, eine lebende Legende. Und er hatte mich beauftragt zu kämpfen.
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37. Kapitel

    D er

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