Die Tibeterin
Roben der Mönche, auf die Luchs-und Wolfsfelle der Fürsten und Häuptlinge. Alle trugen ihre schweren Amulette, ihre silbernen Anhänger, ihre Ringe aus Türkis.
Alle waren mit ihren Waffen gekommen, mit Schildern aus Leoparden- und Yakfellen, rasselnden Degengehängen, Gewehren und Dolchen. Den Gästen zu Ehren war der Boden mit besonders kostbaren Teppichen bedeckt, die junge Novizen schenkten den Tee ein. Der Abt nahm mit meinem Onkel Tenpa Rimpoche und einigen bedeutenden Lamas den Ehrenplatz ein. Khangsar war ein stämmiger Mann mit groben, aber freundlichen Zügen.
Ich entdeckte, daß alle großen Häuptlinge hier waren, dazu einige, die ich nie gesehen hatte. Zu der Forderung der Chinesen war die unverschämte Weisung an die tibetische Armee gekommen, sich der Volksarmee anzuschließen, um die Rebellen im Kham zu schlagen.
Die Regierung in Lhasa hatte die Forderung entrüstet zurückgewiesen, jedoch keine Bereitschaft gezeigt, den Okkupanten 299
die Stirn zu bieten. Seine Heiligkeit selbst klammerte sich an sein Prinzip der Gewaltlosigkeit.
Der Kleinmut der tibetischen Führungsschicht hatte in den Jurten Empörung ausgelöst. Die Chinesen drohten mit dem vollen Einsatz ihrer Militärmacht. Viele Tibeter behaupteten: »Wer zögert, ist verloren«, und damit mochten sie recht haben.
»Die Chinesen sind schwach«, sagte ein Häuptling. »Wir haben sie in den Teehäusern sitzen sehen, zu lange haben wir sie da sitzen sehen. Sie haben Opium in den Knochen. Wir werden sie wegkratzen wie ein Hund seine Flöhe.«
Der nächste teilte seine Meinung.
»Wenn sie den Krieg wollen, sollen sie ihn haben. Noch sind wir ein freies Volk. Aber wenn die Chinesen unser Land beherrschen, lassen sie keine Frucht auf den Bäumen, kein Blatt an den Büschen, keinen Menschen und kein Tier lebendig.«
Ein dritter zeigte Bedenken.
»Man muß warten können. Natürlich ist das Warten schwierig.
Aber der Schnee ist gut für uns und schlecht für die Volksarmee.«
So ging es hin und her. Auf einmal wurde es draußen vor dem Tor lebhaft. Ich sah, wie der Abt und mein Onkel einen Blick tauschten.
Dann trat ein Mann in den Saal. Ein dunkelblauer, sehr weiter, faltenreicher Mantel lag um seine Schultern. Darunter trug er eine Uniformjacke der indischen Armee, Jodhpurs und englische Reitstiefel. Sein Haar, bereits dünn an den Schläfen, war von einem wunderbaren Silbergrau. Er verneigte sich vor dem Abt und den hohen Lamas. Ich fragte mich, wer er wohl sein konnte.
Ein Häuptling, in schwarze Wolfsfelle gehüllt, gab düster zu bedenken, daß wir zu wenig Waffen hatten.
»Unsere Gewehre sind alt. Bei gutem Licht und an einem klaren Tag kann ich eine Kugel so weit schleudern, wie ein Knabe einen großen Stein schleudert – wenn auch nicht so genau. Die Chinesen haben Flugzeuge, Panzer und Kanonen.«
»Das ist die Art der Neureichen«, rief einer, und alle lachten. Der Häuptling sprach weiter:
»Wenn wir gute Maschinengewehre hätten, brauchten wir nicht wie die Irren von einem Hügel zum anderen zu stürmen, während die Kolonne, die wir stoppen wollen, weiterfährt. Solche Überfälle wirken bei dem Feind wie ein Wespenstich bei einem Rehbock: Er reizt ihn, aber schwächt ihn nicht. Und der Sieg bleibt fern.«
Da erhob sich der Mann, der zuletzt erschienen war. Eine 300
Bewegung ging durch die Menge, und gleichzeitig entstand ein Raunen. Endlich hörte ich seinen Namen, und mein Blut schien schneller zu fließen. Denn der Mann, der jetzt das Wort ergriff, war Rapgya Pangda Tsang.
»Du kannst beruhigt sein, Onkel«, sagte er. »Die Maschinengewehre sind in versiegelten Ladungen unterwegs. Sie werden bald eintreffen. Es sind ziemlich viele.«
Er hob die rechte Hand, ballte und öffnete sie viermal. Jede Faust bedeutete die Zahl hundert. Ein verblüfftes Murmeln lief durch die Reihen. Rapgya lächelte.
Innerhalb einer Stunde hatte ich viele bedeutsame Häuptlinge kennengelernt. Daß mir aber nur Rapgya Pangda Tsang gegenüber stand, überstieg meine kühnsten Vorstellungen.
Rapgya war der Jüngste der drei Pangda-Brüder, Söhne eines reichen Händlers aus Chamdo. In den dreißiger Jahren hatten Yampel, Topgyay und Rapgya gleichzeitig die Zentralregierung in Lhasa und den chinesischen Kriegsherrn Liu bekämpft. Alle drei waren hochgebildet, schrieben und sprachen fließend chinesisch. In seiner Jugend hatte Rapgya Aufsehen erregt, weil er einige Fragmente der Werke von Karl Marx sowie die Drei Volksprinzipien von Sun
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