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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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bewegen zu wollen, vielleicht um seine Kräfte zu schonen. Ich brachte Bemba neben ihm zu stehen. Er 460
    saß mit abgewandtem Gesicht. Die linke Hälfte seines Kopfes war rot vor Blut. Seine Stimme war nur ein heiseres Flüstern.
    »Tara, kennst du den Polarstern?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Kannst du ihn sehen?«
    Ich hob den Kopf zum Himmel empor. Überall, wo ich auch schaute, waren Sterne; mir schien, als uns das Sternenmeer von allen Seiten umgab, als ob ein Stern den anderen berührte. Ich blinzelte verwirrt, erkannte schließlich die Kassiopeia. Den kleinen Wagen.
    Den Polarstern.
    »Da ist er«, sagte ich.
    »Gut. Reite voraus.«
    »Atan… «
    Er preßte sein unverletztes Bein in Ilhas Flanken, und der Schimmel setzte wieder einen Fuß vor den anderen. Atan lenkte ihn nicht mehr, hielt nur locker die Zügel. Erst allmählich kam mir in den Sinn, daß er vielleicht nicht sehen konnte. In mir war eine naßkalte Übelkeit. Atan war immer vorausgeritten. Jetzt war ich es, die den Weg suchen mußte. Wenn ich bei klarem Verstand blieb, wenn ich meine Aufmerksamkeit auf die Sterne richtete, würde ich es wohl schaffen. Ich mußte es schaffen. Wieder vergingen Stunden.
    Atan sagte kein Wort; ich hörte nur Ilhas regelmäßige Schritte auf den Steinen. Die Sterne leuchteten schwacher jetzt. Bald wird es Tag, dachte ich. Dann werde ich ihn dazu bringen, irgendwo zu rasten.
    Kunsang schlief; ihr kleiner, an mich gedrückter Körper gab mir Wärme, aber ich spürte, daß ihre Beine eiskalt waren. Ich rieb ihre Schenkel, um das Blut in Bewegung zu bringen. Sie wachte nicht auf. Nach einer Weile merkte ich, daß der Himmel im Osten nicht mehr dunkel, sondern silbrig schimmerte. Meine verklebten Augen brannten, jeder Muskel schmerzte, und ich hatte entsetzlichen Durst.
    Der Himmel wurde heller, färbte sich weiß. Rings um die Berge schwamm ein Kranz von goldenen Wolken, von dem sich die eine oder andere löste und über unsere Köpfe dahinsegelte. Der Schatten einzelner Felsen zeichnete sich scharf am Boden ab. Dann stieg die Sonne wie ein brennender Busch hinter den Gipfeln empor. Nichts regte sich in der ungeheuren Weite – es schien mir, als wären wir die einzigen menschlichen Wesen auf der ganzen Welt. Auf einmal fiel mir die eigentümliche Form der Felsen vor uns auf. Der schwach erleuchtete Boden glitzerte wie ein - rötliches Salzmeer, aus dem 461
    schwarze, geheimnisvolle Felsinseln ragten. Ich wischte mit der Hand über die Augen und entdeckte, daß es sich in Wirklichkeit um Ruinen handelte. Es mußten die Überreste einer Burg oder eines Klosters sein.
    Plötzlich vernahm ich hinter mir einen seltsamen Laut. Es klang wie ein Husten. Ich wandte mich um. Atan hatte sich leicht aufgerichtet. Er streckte den Arm aus, zeigte auf die Ruinen. Ich stöhnte vor Erleichterung auf. Endlich! dachte ich. Endlich konnte ich seine Wunden behandeln. Ich führte Benba den Hügel hinauf.
    Durch die Risse und Sprünge in den verfallenen Mauern funkelte der Himmel. Die Ruinen glichen einer phantastischen Kulisse, einem steinernen Traum, einer Bastion aus einer anderen Welt. Ich hatte das Gefühl, mich an einem Ort zu befinden, wo Himmel und Erde ihre Pforten öffneten und sich ihre Kraftfelder berührten. Kraft, dachte ich unwillkürlich. Ja, die brauchen wir jetzt. Wir stiegen weiter, Absatz um Absatz. Immer wieder schaute ich über meine Schulter zurück, sah wie Atan die Arme um Ilhas Hals geworfen hatte, um das Tier zu entlasten und sich gleichzeitig an ihm festzuklammern. So ließ er sich hinaufziehen. Die Ruinen erhoben sich auf einer Felsnase unterhalb eines Berghanges. Auf der anderen Seite war die Ebene sichtbar: Der Tsangppo glitzerte im Morgendunst wie eine schmale, purpurne Ader. Die Ruinen kamen näher; die erste Sonnenglut brachte die Lehmmauern kupferrot und bronzebraun zum Erglühen. Zacken und Rillen traten deutlich hervor. Auf einmal zuckte ich zusammen: Mit hefti gern Flügelrauschen stießen zwei große Krähen aus den Ruinen empor; so tief schwebten sie, daß ich das Spiel wechselnder Regenbogenfarben auf ihrer Brust sah; aufgespreizt hingen sie im Wind, kreisten und stiegen höher, wie filigran in die Morgenröte gezeichnet. Und im gleichen Atemzug vernahm ich hinter mir ein rasselndes Geräusch.
    Mein Herz tat einen Sprung. Angsterfüllt wandte ich mich um, sah Atan aus dem Sattel kippen, schwer zu Boden fallen. Dann lag er im Geröll und rührte sich nicht mehr. Und wie es die Khampa-Pferde tun, wich Ilha

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