Die Tiefe einer Seele
verlassen hatte, ein wenig weiterzuschreiben. Sie war gerade so schön im Fluss, und der Mörder in ihrem neuen Werk stand kurz davor, überführt zu werden. Doch das strahlende Wetter hatte sie schon bald ihren Laptop zuklappen lassen, und sie war nach draußen geeilt, um ihrer zweiten großen Leidenschaft nachzugehen, dem Gärtnern. Auf satten 800 Quadratmetern hatte sie sich im Schatten des urigen Friesenhauses, in dem sie mit ihren Lieben lebte, ein Paradies geschaffen, ihr ganz persönliches Kleinod, eine herzenserwärmende Augenweide. Hier konnte sie sich verausgaben und gleichzeitig Kraft tanken für die Mühen des Alltags. Viel gab es an diesem Märztag noch nicht zu tun, war die Natur doch gerade erst aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht. Aber Magda hackte, wo es etwas zu hacken gab und sie zupfte, wo ihr etwas im Wege stand. Die Wärme der höher steigenden Sonne sorgte rasch dafür, dass sich ein dünner Schweißfilm auf ihre Haut legte. Ein durchaus nicht unangenehmes Gefühl, denn es war immerhin das Resultat einer sehr gewollten und befriedigenden Anstrengung. Zwischendurch gönnte die Frau ihren 44 Jahre alten Knochen die eine oder andere Verschnaufpause. So auch, als die Glocken der nahegelegenen Inselkirche die Mittagsstunde verkündeten. Müde streckte Magda ihre geplagten Glieder aus und ließ sich in dem buntgemusterten, wackligen Liegestuhl, dessen Tage wohl bald gezählt sein würden, nieder. Sanft lächelnd schickte sie hypnotisierende Blicke in den blauen Himmel über der friedlich daliegenden Nordsee, als wenn sie es so schaffen könnte, das gute Wetter zum Bleiben zu bewegen. Absoluter Frieden breitete sich in ihr aus, und sie wähnte sich auf besondere Art und Weise gestärkt. Bis das Telefon im Haus sie unbarmherzig aus ihren Tagträumen riss. Eilig sprang sie aus dem Liegestuhl, der sie knatschend und knackend verabschiedete, strich sich die schmutzigen Finger an ihrer alten Jeans ab und rannte hinein. Wahrscheinlich war es Egidius, der mal wieder irgendetwas vergessen hatte, oder der einfach nur ihre Stimme hören wollte. Denn ja, so romantisch war ihr Gide, auch nach fast 19-jähriger Ehe. »Johannson«, meldete sie sich atemlos. Scheinbar ruhig hörte sie dem Anrufer zu. Doch dass die Nachricht, die ihr in diesem Moment übermittelt wurde, von höchster Brisanz war, hätte ein Beobachter der Szenerie im Handumdrehen erkannt. Von einer Sekunde auf die andere verschwand jegliche Farbe aus dem Gesicht von Magda Johannson, und ihre Augen weiteten sich im fassungslosen Entsetzen. »Oh nein«, hauchte sie und ließ sich kraftlos auf einen Stuhl sinken. Sie konnte absolut nichts tun gegen diese zerstörerische Gewissheit, dass ihre heile Welt nicht nur ins Wanken geraten war, sondern drohte, völlig in sich zusammenzusinken. »Oh nein«, flüsterte sie noch mal. »Amelie!« Weinend schlug sie die Hände vors Gesicht.
Kapitel 3
13. Mai 2013 – Siebeneichen
»Wie meinen, bitte?« Die komplette Verwirrung stand dem sonst ach so welt- und redegewandten James Anthony Prescott geradezu ins Gesicht geschrieben. Diese junge Dame hier, die er gerade zugegebenermaßen über den Haufen gefahren hatte, schien, nun ja, sehr speziell zu sein, um es mal vorsichtig auszudrücken. Eben jene junge Dame, die ihn nun ihrerseits verwundert anschaute.
»Wie meinen, bitte?« äffte sie seine Worte nach und versuchte nicht einmal, den spöttischen Unterton in ihrer Stimme zu kaschieren. »Aus was für einem Jahrhundert sind sie denn rausgeplumpst, Mann?« fügte sie an und vergaß dabei sogar, ihr schmerzendes Knie zu reiben.
»Ich bin durchaus in diesem Jahrhundert zuhause, junges Fräulein«, erwiderte James bissig. »Ich frage mich nur, was sie da eben zu mir gesagt haben, ich habe es nicht verstanden, Entschuldigung.«
»Äääh, junges Fräulein?« wiederholte sein Gegenüber erneut, diesmal eine Spur lauter und schon mehr als belustigt. »Wenn ich tippen müsste, dann würde ich vermutlich auf das 19. oder auf die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts setzen. Kompliment, dafür haben Sie sich gut gehalten!« Das Opfer dieser unverschämten Verhöhnung hätte den Frechdachs am liebsten übers Knie gelegt, aber das verbot ihm seine gute Erziehung. Stattdessen hob er warnend seinen Zeigefinger, was die Kleine kurz kichern ließ.
»Sie ….Sie sind kein Deutscher, oder?«
James schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin Amerikaner«, bestätigte er. »Deutsch ist nicht meine Muttersprache,
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