Die Tiefe einer Seele
Polizei rufen?«, fragt er leise.
Die Rothaarige schmunzelte. »Warum? Hat wer eine Bank überfallen, oder was?« antwortete sie mit Schalk in den Augen. »Nein, nicht nötig, wenn Sie mich fragen. Das mit dem Fahrrad werden wir regeln können, aber was ist mit Ihrem Auto?«
James lächelte sie beruhigend an. »Ich schau später nach, ob es was abbekommen hat. Dürfte nicht so schlimm sein, denke ich. Also gut! Keine Polizei und kein Krankenhaus, dann bringe ich sie wenigstens nach Hause.«
Das Mädchen schüttelte energisch mit dem Kopf. »Auch das nicht!«, meinte sie knapp. »Sie können mich jetzt endlich aus dem Regen holen, und dann dürfen Sie mich zu meiner Unterkunft fahren, ich bin nämlich auf einer Urlaubsreise.« Sie drehte sich um und humpelte zum Auto. James folgte ihr verdutzt und öffnete die Beifahrertür des Audis. Dabei fiel ihm auf, wie zierlich sie war. Sie ging ihm allenfalls bis zur Brust, auf keinen Fall war sie größer als 1,55 Meter.
»Was ist?«, herrschte ihn die nasse Katze an.
»Sie sind sehr klein«, antwortete James angriffslustig. »Und frech!« Erstaunlicherweise schenkte ihm die junge Frau ein strahlendes Lächeln, aber ein Blick in ihre Augen sagte ihm, dass ihr ganz und gar nicht der Sinn nach Freundlichkeiten stand.
»Und sie sind sehr groß«, entgegnete sie. »…..und bald mausetot, wenn Sie weiter so die Klappe aufreißen.« Sprach`s ohne mit der Wimper zu zucken, und ließ sich stöhnend auf den Sitz des Mietwagens fallen. James traute seinen Ohren kaum.
Na, wer hier wohl permanent die Klappe aufreißt?
Er hatte ja schon viele Menschen kennengelernt auf seinen Reisen, darunter auch absolut durchgeknallte und exotische, aber diese kleine Person hier, die toppte einfach alles.
»Was ist nun?«, hörte er sie aus dem Innern des Wagens zetern. »Glauben sie, es wäre möglich, noch vor Silvester loszufahren? Und vergessen Sie nicht, das Rad einzupacken!« Mit rollenden Augen ließ der schwarzhaarige Mann die Beifahrertür elegant ins Schloss fallen, bevor er sich dem Fahrrad widmete. Nur mit Mühe konnte er es halbwegs in den Kofferraum quetschen. Der Deckel musste aufbleiben und ein Rad schaute hinten raus. Egal, bis zur Unterkunft der jungen Dame würde es schon nicht so weit sein. Die beiden Gepäcktaschen seines Fahrgastes verstaute er auf dem Rücksitz. Kopfschüttelnd sah er an sich hinunter. Der Regen hatte zwar zwischenzeitlich nachgelassen, aber er war bis auf die Haut durchnässt. Seufzend öffnete er die Fahrertür des Audis und setzte sich neben seine Begleiterin.
»Sie haben fast keinen Akzent«, bemerkte diese, als James den Wagen startete.
»Das liegt daran, dass meine Mutter Deutsche ist«, erklärte er und setzte den Blinker.
»Was?«, erwiderte die junge Frau empört. »Dann haben Sie mich ja angelogen!«
Stirnrunzelnd blickte James zur Seite. »Ich soll sie angelogen haben?«, antwortete er mindestens genauso empört. »Wann? Das müssen Sie mir erklären!«
Die Rothaarige grinste ihn unverschämt an. »Na ja, Sie sagten, Deutsch wäre nicht Ihre Muttersprache. Wenn Ihre Mutter aber Deutsche ist, dann ist das doch sehr wohl Ihre Muttersprache, oder?«
James musterte sie intensiv mit seinen dunklen Augen, die nun schon beinahe schwarz erschienen. »Miss, Sie sind nicht nur klein und frech, sondern zudem auch noch sehr spitzfindig«, raunte er mit gefährlich leiser Stimme. »Ich habe keine Ahnung, ob ich Sie dafür bewundern oder Ihnen stattdessen lieber die Ohren langziehen soll. Sehen Sie sich vor, ja?«
Das Mädchen hob beschwichtigend ihre Hände. »Huuuuuh, jetzt machen Sie mir aber so richtig Angst«, erwiderte sie spöttisch. »Aber genug gelabert. Bringen Sie mich in meine Unterkunft!« Ungewohnt friedfertig lotste sie ihn souverän über die Straßen und nach etwa 15 Minuten waren sie am Ziel in der Nähe der Eulenspiegel-Stadt Mölln. »Bitte?«, fragte James ungläubig, als er den Wagen vor einer, seiner Meinung nach recht baufälligen Scheune stoppte. »Sie wollen in einem Heuhotel übernachten?«
Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Ist nun mal am billigsten«, erwiderte sie entschuldigend.
»Tut mir leid, junge Dame«, schnaubte der Amerikaner sichtlich geschockt. »Das kommt überhaupt nicht in Frage. Sie sind pitschnass, nein, wir beide sind es, und Sie sind zudem verletzt. Ich werde sie also in die nächste Pension oder in das nächste Hotel fahren, wo ich mir Ihr Knie genauer anschauen werde, und wo Sie dann vernünftig
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