Die Tiefe einer Seele
»Bitte?«, schnaubte sie zornig. »Sie fragen mich allen Ernstes, ob mir was passiert ist? Ich würde sagen, SIE sind mir passiert. Denn sie haben mich gerade einfach so umgenietet. Auf offener Straße, Sie….Sie….Vollpfosten!«
James Verblüffung erfuhr eine erneute Steigerung.
Was hat sie da zu mir gesagt? Vollpfosten? Was zum Teufel soll das sein?
Kapitel 2
15. März 2003 – Spiekeroog
Es war einer dieser Tage, die eigentlich dazu bestimmt waren, im Meer der Routine zu ertrinken. Ein ganz und gar nicht ungewöhnlicher Tag, eher genau das Gegenteil, wenn man mal von dem heiß ersehnten, besseren Wetter absah. Bis dieser Anruf kam. Niemand hatte Magda Johannson darauf vorbereitet, dass an diesem stinknormalen Tag, ihr bisheriges Leben im Handstreich aus den Angeln gehoben werden würde. Dass der Boden, auf dem sie doch sonst so sicheren Fußes stand, sich in eine alles verschlingende, sumpfige Masse verwandeln würde. Dass das Glück, welches sie lange Zeit immer so begünstigt und mit sanften Händen umschlossen gehalten hatte, sich gnadenlos aus dem Staub machte. Nein, niemand hatte Magda auf das alles vorbereitet. Wie auch?
Der Frühling ließ grüßen an diesem Tag, mit Temperaturen, die nahe an die 20 ° gingen. Bis dato hatte es so ausgesehen, als wenn der Winter nicht im Traum daran dachte, Platz zu machen für die ihm nachfolgende Jahreszeit. Bitterkalt war es gewesen, dazu immer grau und dunkel. Die Sonne und ihre wärmende Strahlen schienen nur noch eine sentimentale Erinnerung an schönere Zeiten zu sein. Nur an den wenigen Tagen, an denen aus der dichten Wolkendecke ein paar glitzernde Schneeflocken gefallen waren, hatte man dem Ganzen etwas Positives abgewinnen können. Es war der erste Winter seit vielen Jahren, an dem Spiekeroog für einige Zeit sogar ganz vom Festland abgeschnitten war, weil der Fährbetrieb wegen Eisganges hatte eingestellt werden müssen. Magda wäre in diesen Tagen liebend gerne von hier geflüchtet, was ihr noch nie zuvor passiert war. Sie liebte die Insel doch so sehr und genoss jede Minute, die sie hier verbringen durfte. Aber das Gefühl eingesperrt zu sein, hatte sie in Aufruhr versetzt. Darum war sie nun auch sehr froh, dass Gevatter Winter sich auf die Socken gemacht hatte und sich hoffentlich für länger nicht mehr zurück traute.
Am Morgen war es, wie immer, hoch hergegangen im Hause Johannson. So war das nun mal, wenn eine siebenköpfige Familie ungefähr zur gleichen Zeit aufstand, ein und dasselbe Bad benutzen wollte, um dann am Frühstückstisch den Tag in fröhlicher Runde zu beginnen. Na ja, was man so fröhlich nannte. Die Zwillinge Jonas und Samuel waren jetzt 17 Jahre und noch immer mitten in der Pubertät. Hieß, dass sie an manchen Tagen alles kurz und klein motzten, den nächsten entweder rumalberten oder im besten Fall, sich mit einer, für ihre Umwelt angenehmen Schweigsamkeit umgaben. Letzteres war an diesem Morgen der Fall gewesen. Die 14-jährige Amelie, die einzige Tochter der Johannsons, hatte sich ihnen angeschlossen und war ebenfalls, wie erstaunlicherweise auch schon in den Tagen zuvor, mundfaul gewesen. Ganz im Gegensatz zu ihren jüngeren Brüdern, dem 12-jährigen Joshua und dem 9-jährigen Elias. Die beiden Rabauken hatten lautstark gestritten. Worum es ging? Magda hatte es in dem Moment vergessen, als sich die Tür hinter ihrer Rasselbande geschlossen hatte, und sie sich auf den Weg zur Theodor-Storm-Schule begaben. Dass ihre Kinder dieses hochangesehene Nordsee-Internat besuchten, machte Magda Johannson und ganz besonders ihren Mann Egidius jeden Tag aufs Neue stolz und dankbar. Nicht viele Insulaner-Sprösslinge waren Schüler dieser Einrichtung, was auch darin begründet lag, dass es eine kostenpflichtige Privatschule war. Gleich fünf Kinder dorthin schicken zu können, das war schon ein außergewöhnliches Privileg. Ein Privileg, das die Familie vielleicht zum Teil dem Vater zu verdanken hatte, denn Egidius Johannson war seit mehr als 20 Jahren Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Spiekeroog und eine hochangesehene Persönlichkeit auf der Insel. Den weitaus größeren Anteil an dem Status der Johannsons hatte hingegen Magda. Seit knapp zehn Jahren schrieb sie Bücher, Krimis genauer gesagt, und gehörte zu den erfolgreichsten Autoren des Genres im ganzen Lande. Zurzeit hatte sie ihr achtes Buch in Arbeit.
Auch an diesem 15. März hatte sie ursprünglich geplant, nachdem ihr Mann das Haus in Richtung Kirche
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