Die Tiefen deines Herzens
dabei zu gehen. Sie können sich also wieder entspannen.«
Für den Bruchteil einer Sekunde zeichnete sich Überraschung auf seinem Gesicht ab. Ich verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln und wandte mich zum Gehen. Doch der Kerl hatte blitzschnell mein Handgelenk gepackt und hielt es fest umklammert. Ich war total perplex. Wie konnte er es wagen, mich anzufassen?!
Mit eisiger Stimme zischte ich: »Lassen Sie mich sofort los! Sie ticken ja wohl nicht mehr richtig!«
Ohne darauf zu reagieren, wühlte der Mann mit der freien Hand in seiner Jackentasche, und ich zuckte erschrocken zusammen. Für einen Moment fürchtete ich tatsächlich, er würde eine Waffe hervorziehen. Aber dann sah ich, dass es nur ein Handy war.
»Ich werde jetzt die Polizei verständigen«, drohte er mir und fuchtelte mit dem Ding vor meiner Nase herum.
»Sie sind ja total irre!«, schrie ich und versuchte, seine Hand abzuschütteln. Aber sein Griff war eisern.
Er grinste selbstgefällig. »Die Polizei wird sich freuen. Da kommt einiges zusammen. Unbefugtes Entfernen vom Hundestrand, Beleidi…«
»Don’t touch her!«,
schnitt ihm eine männliche Stimme das Wort ab. »Nimm deine dreckigen Finger von dem Mädchen. Sofort!«
Mein Blick schnellte zur Seite, und ich erkannte den Jogger, den Sammy vorhin so begeistert angesprungen hatte. Er stand dicht neben mir, mit einem ruhigen, konzentrierten Ausdruck im Gesicht.
»Misch dich da nicht ein«, knurrte der Kerl und verstärkte den Druck um mein Handgelenk noch ein wenig, sodass mir ein schmerzhaftes
Aua
entfuhr.
»Ich glaube, du hast mich nicht richtig verstanden.« Die Hand des Joggers schnellte hervor und packte den Kerl unsanft am Nacken. Der Mann schrie laut auf und ließ mich schlagartig los.
Ich sprang zur Seite, brachte mit wenigen Schritten Abstand zwischen die beiden Männer und Sammy und mich.
Einem ersten Impuls folgend, wollte ich wegrennen. Einfach nur weg. Aber dann blieb ich stehen und drehte mich um. Ich sah gerade noch, wie der jüngere den älteren Mann in die Knie zwang.
»Verdammt, du tust mir weh!«, jammerte der.
»Ich habe dich gewarnt«, sagte der Junge ruhig. Dann löste er so abrupt seinen Griff, dass der ältere Kerl vornüber in den Sand fiel.
Er blieb regungslos liegen, und ich fürchtete, er hätte sich ernsthaft verletzt.
Den dunkelhaarigen Jogger schien das nicht zu stören. Er stand nur da und starrte auf den Mann hinunter. Sein Blick war leer, so als wäre er mit seinen Gedanken ganz woanders.
Über uns verdunkelte sich der Himmel und eine kräftige Windböe kam auf. Vom Meer schoben die Wellen ihre Wassermassen bedrohlich nahe an uns heran.
Ein Schauer überlief mich. »Tu was. Er kann doch da nicht liegen bleiben!«, rief ich dem Jungen zu.
Langsam drehte er den Kopf. Er schaute mir direkt in die Augen. Seine dunkle Iris bohrte sich in meine, und ich hatte auf einmal das Gefühl, hypnotisiert zu werden. Wie gelähmt stand ich da und hoffte, er würde etwas sagen, irgendetwas unternehmen. Doch er musterte mich nur. Seine Mundwinkel umspielte ein unergründliches Lächeln.
Schließlich zuckte er mit den Schultern. »Manche Typen kapieren es eben erst, wenn sie Scheiße fressen«, sagte er mit leicht englischem Akzent.
In diesem Moment kam der Mann wieder auf die Beine.
»Das hat Konsequenzen«, zischte er, ohne einen von uns anzuschauen. Dann stampfte er wild fluchend davon.
Ich atmete erleichtert auf. Öffnete den Mund, brachte jedoch kein Wort heraus.
Plötzlich war der dunkelhaarige Junge dicht neben mir. »Du und dein verrückter Hund, ihr solltet jetzt besser abhauen. Der Typ ruft bestimmt die Polizei.«
Er legte mir die Hand auf die Schulter und etwas in mir zog sich zusammen. Vielleicht vor Aufregung, vielleicht vor Überraschung, ich wusste es nicht.
»Alles okay?«, fragte er mich.
Ich schaute zu ihm auf. Meine Zunge fühlte sich an wie gelähmt.
»Ist alles okay mit dir?«, wiederholte er seine Frage.
Das wüsste ich auch gern, dachte ich.
Clara rannte wie angestochen durchs Zimmer. Vor Sammy, der zusammengerollt auf seiner Decke lag, blieb sie stehen. »Und du? Du bist mir vielleicht ein schöner Wachhund!«, schimpfte sie.
Sammy hob den Kopf und blickte sie unschuldig aus braunen Knopfaugen an.
»Bestimmt hat er die Situation falsch eingeschätzt. Er ist doch erst ein Jahr alt, quasi noch ein
Hundekind«,
versuchte ich, ihn zu verteidigen. »Sammy hat das Ganze garantiert für ein Spiel gehalten.«
Clara schlug sich
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