Die Tiefen deines Herzens
könnt ihr da einfach ein Lagerfeuer machen? Muss man sich das nicht erst genehmigen lassen?«
Oh Mann, ich klinge ja fast schon wie meine Mutter!, stellte ich erschrocken fest.
Aber selbst wenn ich Clara in diesem Moment wie meine Spießermutter in jung vorgekommen sein mochte, ließ sie sich nichts anmerken.
»Kein Problem. Die Wiese gehört uns und ich meinte auch echt nur ein Feuerchen. Nichts in Osterfeuergröße oder so.« Sie zwinkerte mir zu und ich blinzelte zurück und kam mir nicht einmal albern dabei vor.
Wir saßen ums knisternde Lagerfeuer herum und hielten lange, mit Teig umwickelte Stöcke in die Flammen. Inzwischen war es dunkel geworden und wir hatten uns in Decken eingekuschelt. Nicht weil es kalt war, sondern aus Gemütlichkeit. Jamies blonder Labrador Sammy lag dicht neben mir und nicht nur deshalb fühlte ich mich gerade so richtig sauwohl.
Damit hätte ich nicht gerechnet!, schoss es mir zum wiederholten Male an diesem Abend durch den Kopf.
»Ich glaube, mein Brot ist fertig«, sagte ich und zog es aus den lodernden Flammen. Prompt verbrannte ich mir die Finger, als ich den Teig von der Stockspitze lösen wollte.
»Verdammt, ist das heiß!«, fluchte ich.
Jamie lachte. »Genau wie Clara, die ist auch immer sooo ungeduldig.«
Clara schüttelte empört den Kopf. »Das ist doch gar nicht wahr!«
»Stimmt!« Jamie grinste noch eine Spur breiter. »Du bist noch
viel
ungeduldiger.«
Und schon war wieder ein schneller, leicht spöttischer, aber dennoch liebevoller Schlagabtausch zwischen den beiden entbrannt, wie ich ihn an diesem Abend häufiger erlebt hatte. Die zwei schienen sich blind zu verstehen und über den gleichen trockenen Humor zu verfügen. Clara zog Jamie ständig mit seinem katastrophalen Deutsch auf, während er sich über ihre hektische und leicht schusselige Art lustig machte. Zwischen ihnen war eine enge Verbundenheit spürbar, die ich bei meinen eigenen Eltern so noch nie bemerkt hatte.
Ich wusste nicht, wie mein Vater und meine Mutter sich kennengelernt hatten. Sie hatten mir nie davon erzählt und ich hatte auch nicht danach gefragt. Ich hatte sie nicht als Liebespaar mit romantischer Vergangenheit wahrgenommen. Für mich waren sie lediglich verheiratet und Eltern eines gemeinsamen Kindes.
Von Jamie und Clara hatte ich schon nach wenigen Minuten am Lagerfeuer erfahren, wo sie sich das erste Mal begegnet waren.
»In einem Club in London«, erzählte Clara und sah Jamie dabei so verliebt an, als ob es gestern gewesen wäre. »Erst wollte ich nichts mit ihm zu tun haben. Ich meine, ich war Kunststudentin und habe mich in der entsprechenden Szene aufgehalten.«
»Alles schrecklich langweilige Typen, die den ganzen Tag nur Wein trinkend herumhingen und laberten, laberten, laberten …«, fiel Jamie ihr augenzwinkernd ins Wort.
»Von wegen.« Clara hob drohend die Hand. »Das waren alles Intellektuelle.«
»Stümper!«
»Stimmt doch gar nicht. Die waren total gut drauf und supertolerant.«
»Nur auf Boxer standen die nicht«, erinnerte Jamie sie. »Oder warum haben die jedes Mal den Tisch verlassen, sobald ich aufgetaucht bin?«
Clara winkte ab. »Oh nein, nicht schon wieder das, Jamie. Keiner hatte etwas gegen dich und schon mal gar nicht, weil du Profiboxer warst.«
Jamie zog eine alberne Grimasse. »Klar, die hatten Angst vor mir.«
Bevor Clara etwas erwidern konnte, fragte ich: »Und wie ist dann letztendlich aus euch ein Paar geworden?«
Jamie zog Clara an sich und küsste sie mitten auf den Mund, bevor er mit weicher Stimme erklärte:
»It’s a kind of magic.«
»London war bunt und schillernd und unglaublich spannend «, fügte Clara hinzu, ohne den Blick von Jamie abzuwenden. »Doch das größte Abenteuer, nein, mein eigentliches Leben fing erst an, als ich mich in Jamie verliebt habe.«
Wow!, mehr konnte ich nicht denken.
»Ich wäre mit ihr bis ans Ende der Welt gegangen«, sagte Jamie. »Aber dann war ich doch ziemlich froh, dass ihre Wahl auf Usedom fiel. Und hier habe ich nun auch meinen Traumjob als Leiter eines Boxcamps verwirklichen können.«
Clara gab Jamie einen Kuss auf die Nasenspitze und wandte sich wieder an mich. »Aber jetzt erzähl du doch mal. Wie sieht dein Leben aus?«
Nachdenklich kraulte ich Sammy den Hals, während sich mein Blick in der flirrenden Luft über dem Lagerfeuer verfing.
»Ich denke, nicht so spannend wie eures.«
Dabei wollte ich es belassen. Und Clara und Jamie waren feinfühlig genug, um dies zu
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