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Die Tiefen deines Herzens

Die Tiefen deines Herzens

Titel: Die Tiefen deines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Szillat
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standen mir in einem wirren Chaos vom Kopf ab, und die Wimperntusche, die ich mir gestern Abend nicht mehr abgewaschen hatte, zog sich in einer dunklen Schicht bis hinunter zu den Wangenknochen.
    Frankensteins Meisterstück!, dachte ich bitter, während ich mich aus den Klamotten pellte und unter die Dusche sprang. Ich spürte den warmen Wasserstrahl auf meiner Haut, schloss die Augen und versuchte, mich zu entspannen.
    Denk an was Schönes, verordnete ich mir selbst und sah gleich darauf Felix’ Gesicht vor mir.
    Doch die erhoffte Wirkung blieb aus. Ganz im Gegenteil, das Herz wurde mir schwer, weil ich plötzlich das Gefühl hatte, es vor Sehnsucht nach ihm nicht länger aushalten zu können.
    In Windeseile beendete ich die Dusche, trocknete mich notdürftig ab, zog meine Sachen an und umwickelte das nasse Haar mit einem Handtuch. Dann eilte ich in mein Zimmer zurück. Gerade rechtzeitig, um mein Handy auf der kleinen Kommode neben dem Bett klingeln zu hören.
    »Ja?«, krächzte ich atemlos, ohne vorher aufs Display geschaut zu haben. Was ich gleich darauf bereute, denn bei der Anruferin handelte es sich um meine Mutter, die keine Zeit vergeudete, mir vorzuhalten, wie unhöflich es sei, sich lediglich mit Ja zu melden.
    »Okay, Mama«, stöhnte ich.
    »Leni, du weißt, ich mag diesen genervten Unterton in deiner Stimme nicht.«
    Erneut stieß ich einen Seufzer aus, verkniff mir aber einen weiteren Kommentar.
    Ich hörte meine Mutter am anderen Ende der Leitung tief Luft holen und sah sie regelrecht vor mir, wie sie kerzengerade am Tisch saß, so, als ob sie einen Stock verschluckt hätte. Das Haar wie immer streng hochgesteckt. Keine Strähne, die es gewagt hätte, sich aus der Frisur zu lösen. Ihr schmales Gesicht dezent, aber perfekt geschminkt.
    »Na ja, wie auch immer, ich wollte nur hören, ob es dir gut geht, und dir sagen, dass dein Vater und ich verreisen. Falls du in den nächsten Tagen zu Hause anrufen und dich wundern solltest, dass niemand ans Telefon geht.«
    »Verreisen?«
    »Ja, ganz richtig. Dein Vater und ich werden nach Schweden fliegen.«
    »Was?« Jetzt wunderte ich mich wirklich, denn ich konnte mich nicht erinnern, wann meine Eltern jemals zu zweit in den Urlaub gefahren wären. Und dazu nach Schweden. Das hörte sich für mich nach Abenteuer und Spaß an. Dinge, die so gar nicht zu meiner Mutter passten.
    »Was ist denn so außergewöhnlich daran, Leni?«
    »Im Prinzip nichts«, antwortete ich. »Außer, dass ihr das noch nie gemacht habt.«
    »Wie denn auch?«, erwiderte sie schroff. »Seit deiner Geburt hatten wir dazu ja keine Gelegenheit mehr. Oder sollten wir dich einfach zurücklassen?«
    »Zurücklassen. Wie das klingt.«
    Erneut hörte ich meine Mutter tief durchatmen, bevor sie versöhnlich erklärte: »Ich möchte nicht mit dir streiten, Leni. Gernot und ich sind nur ein paar Tage weg. Weißt du, ich habe schon als Kind davon geträumt, einmal nach Schweden zu fahren.«
    Nein, das wusste ich nicht. Wie denn auch, meine Mutter hatte mir nie etwas von ihren Träumen erzählt. Genauso wenig, wie sie meinen Vater mir gegenüber
Gernot
nannte. Sonst sagte sie immer
dein Vater
oder in seltenen Fällen
Papa.
    »Ist alles in Ordnung bei euch?«, fragte ich deshalb.
    Erneut lachte sie und diesmal klang es echt. »Ja! Du musst dir keine Sorgen machen. Wir fliegen Donnerstag und sind die Woche darauf am Freitag wieder zurück. Am Samstag holt dein Vater dich mit dem Auto ab.«
    »Okay«, sagte ich gedehnt.
    Und bevor ich sie noch fragen konnte, warum sie nicht einfach gemeinsam nach Usedom kämen, war meine Mutter schon dabei, das Telefonat zu beenden. »Ich wünsche dir noch ein paar schöne Tage, Leni. Pass auf dich auf. Und wenn etwas sein sollte: Du kannst uns jederzeit auf dem Handy erreichen.«
    »Ja, gut«, murmelte ich noch immer leicht irritiert. »Viel Spaß und grüß Papa von mir.«
    »Das mach ich«, versprach sie.
    »Tschüss«, sagte ich und wollte auflegen, aber meine Mutter war noch nicht fertig.
    »Mach’s gut, Schatz – und denk immer daran, ich hab dich lieb.«
    Damit legte sie auf, und ich wusste nicht, worüber ich mehr staunen sollte: über den Verlauf des Gesprächs oder die ungewöhnlich sanfte Stimme, mit der sie mir zum Schluss gesagt hatte, dass sie mich lieb hatte.
    Eine Weile starrte ich noch etwas verwirrt auf das Display, bevor mir einfiel, warum ich es überhaupt so eilig gehabt hatte, in mein Zimmer zu kommen: Ich wollte Felix anrufen.
    Aber ich hatte

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