Die Tiefen deines Herzens
Holzgeländer der Seebrücke und kramte mein Handy hervor. Erneut wählte ich Felix’ Nummer und diesmal hatte ich Glück. Schon nach dem zweiten Tuten erklang seine vertraute Stimme.
»Leni, ich wollte dich auch gerade anrufen. Hast du es schon mal versucht?«
»Felix«, hauchte ich glückselig ins Telefon.
»Ist etwas passiert?«, fragte er besorgt. »Du hörst dich so komisch an.«
»Nein, nein, alles okay. Ich bin einfach nur froh, dich zu erreichen.«
»Dann ist ja gut. Ich kann mir auch gerade nichts Besseres vorstellen, als deine Stimme zu hören«, fügte er etwas leiser hinzu. Und nach einer kurzen Pause, in der mein Herz wie verrückt gegen meine Rippen dröhnte, sagte er zärtlich: »Außer vielleicht, dich zu küssen.«
Ich atmete tief ein und ließ die Luft zitternd wieder entweichen. »Deswegen habe ich angerufen.«
Felix lachte, und dieses Lachen sorgte dafür, dass sämtliche Anspannung von mir abfiel. »Und wie soll das am Telefon funktionieren?«
»Schlecht!«, erklärte ich. »Darum rufe ich ja auch an. Ich wollte dich fragen, ob du nicht Lust hast hierherzukommen.«
Einen Moment herrschte Stille am anderen Ende der Leitung. Dann hörte ich ihn tief seufzen. »Ich würde wirklich gerne. Aber es geht nicht.«
»Wegen meiner Tante und ihrem Freund brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Die sind total locker drauf und haben bestimmt nichts dagegen«, beruhigte ich ihn.
Erneut seufzte er in den Hörer. »Trotzdem kann ich nicht. Ich fahre heute wieder für ein paar Tage nach Hamburg.«
»Warum denn das?«, fragte ich alarmiert.
»Na ja«, druckste Felix herum. »Die vom Hamburger SV haben sich noch mal gemeldet.«
»Und? Nun lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!« Ein Eisenring hatte sich plötzlich um mein Herz gelegt und wurde enger und enger.
»Ich kann mir die Chance nicht entgehen lassen«, erwiderte er. Seine Stimme klang schuldbewusst.
»Verstehe …«, flüsterte ich.
Felix sagte nichts. Noch nicht einmal, dass ich mir keine Sorgen machen müsste, weil sich dadurch zwischen uns nichts ändern würde. So, wie er es an dem Abend versprochen hatte, an dem aus uns
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als nur Freunde geworden war.
Ich räusperte mich leise, in der Hoffnung, meine Stimme wieder in den Griff zu bekommen. »Na gut, dann wünsche ich dir viel Spaß in Hamburg«, sagte ich so unverbindlich wie möglich. »Ich muss jetzt auch aufhören. Meine Tante wartet mit dem Frühstück. Mach’s gut!«
»Leni, warte! Leg bitte nicht auf!«, rief Felix.
Eine Sekunde zögerte ich, dann murmelte ich: »Was gibt es denn noch?«
»So geht das nicht.«
Ich schwieg.
»Dieses Gespräch läuft vollkommen schief.«
»Findest du?«, erwiderte ich schnippisch.
Doch Felix kannte mich viel zu gut, als dass er mir meine Gleichgültigkeit abgenommen hätte.
»Selbst wenn ich zukünftig beim HSV spielen sollte«, redete er beschwörend auf mich ein, »wird sich nichts daran ändern, dass du der wichtigste Mensch in meinem Leben bist.«
Ich konnte nicht anders, ich lachte bitter auf. »Aha, der wichtigste Mensch also.«
Er stöhnte. »Ja, verdammt, das bist du! Und das weißt du auch ganz genau. Leni, ich … ich …«
»Was?«
»Ich hatte nicht vor, es dir am Telefon zu erzählen«, sagte Felix ernst.
Ich schluckte, weil mit einem Mal ein dicker Kloß in meinem Hals steckte.
»Egal, wo ich auch hingehe, ich möchte nicht ohne dich gehen.«
Der Kloß breitete sich aus. Ich konnte nur flüstern. »Aber wie soll das funktionieren?«
»Indem du mit mir nach Hamburg kommst«, antwortete er.
H ochstimmung ist das Gefühl, nach den Sternen greifen zu können, ohne sich auf die Zehenspitzen stellen zu müssen.
(Sprichwort)
6
Marc saß am offenen Wohnzimmerfenster und blickte rauchend hinaus. Als ich ihn bemerkte, war es zum Umkehren bereits zu spät. Zumindest, wenn ich mich nicht komplett lächerlich machen wollte, indem ich fluchtartig den Raum verließ.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Tante dir erlaubt hat, im Haus zu rauchen!«, blaffte ich ihn an.
»Kann sein«, erwiderte er. »Aber
mein Onkel
hat ja Gott sei Dank das Sagen hier.«
»Soweit ich weiß«, erklärte ich frostig, »ist dein Onkel Sportler, und ich kann mich auch nicht erinnern, ihn jemals rauchen gesehen zu haben. Also, mach lieber die Kippe aus. Es sei denn, du möchtest schon wieder Ärger riskieren.«
»Schon wieder?«
Er schnippte die Zigarette zum Fenster hinaus. »Was meinst du damit?«
Verdammt. Das war mir
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