Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tiefen deines Herzens

Die Tiefen deines Herzens

Titel: Die Tiefen deines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Szillat
Vom Netzwerk:
Kuhle.
    »Leni?«, brüllte es da direkt über mir. »For God’s sake, come back to me!«
    Ich duckte mich, rollte mich wie ein Baby im Mutterleib zusammen. Das Stechen in meinem Bein war unerträglich, dennoch blieb ich in dieser Position, biss mir in den Handrücken, damit mir bloß kein Laut entwich.
    Es knackte, dann prasselte ein wenig Laub von oben auf mich herab. Er musste direkt am Rand der Kuhle stehen. Ich hörte ihn leise sprechen.
    Redete er mit sich selbst? Oder telefonierte er?
    »Fuck!«, hörte ich ihn knurren. Dann vernahm ich wieder Schritte. Das Rascheln im Laub wurde leiser. Er schien sich zu entfernen.
    Dennoch wagte ich nicht aufzuatmen. Löste mich nur ein wenig aus meiner unbequemen Position.
    Ich versuchte, das Bein zu strecken. Der Schmerz bohrte sich in mein Fleisch, stach mit voller Wucht in den Knochen. Eine Woge der Übelkeit überkam mich. Ich schlug mir die Hand vor den Mund, schnappte in kurzen heftigen Zügen nach Luft und bemühte mich verzweifelt, das Würgen zu unterdrücken.
    Doch es gelang mir nicht. Ich übergab mich.
    Dann wurde alles schwarz um mich herum, und meine Gedanken entglitten mir, bis da nichts mehr war. Nur noch Stille.
    Als ich wieder zu mir kam, lag ich noch immer in dem Erdloch. Ich wusste nicht, wie lange ich bewusstlos gewesen war.
    Es war Nacht, noch immer Nacht. Durch die dichten Wipfel der Bäume konnte ich ein Stück vom Himmel sehen. Die Sterne leuchteten so hell herab, als wäre nichts geschehen.
    Etwas klebte in meinen Haaren, es stank widerlich. Ich ahnte, dass es mein Erbrochenes war, und schüttelte mich angewidert.
    Langsam kroch die Kälte in meinen Körper. Ich unternahm den Versuch, mich noch tiefer in das Erdloch zu wühlen und gleichzeitig von dem Erbrochenen wegzukommen, häufte kleinere Zweige, Blätter und Moos um mich auf, alles, was ich erreichen konnte, ohne mein Bein zu bewegen.
    Ich kauerte mich zusammen. Die Nase in der Armbeuge, das unverletzte Bein angewinkelt, das andere leicht ausgestreckt. Mein Puls hatte sich etwas beruhigt, der Atem ging gleichmäßiger. Wenn ich stillhielt, dann waren die Schmerzen fast erträglich.
    Ich horchte in die Dunkelheit, durchforstete sie mit meinen Augen, jetzt wieder hellwach und konzentriert. Doch da war nichts mehr. Kein Laut, kein Rascheln, kein Schatten. Nur hin und wieder ein Tier, das Jaulen einer Katze, der Schrei eines Käuzchens.
    Im Morgengrauen ließ die Anspannung in meinem Körper nach, dafür steckte die Kälte so tief in meinen Gliedern, dass sie sich taub anfühlten. Unendliche Müdigkeit überkam mich und ich dämmerte immer wieder kurz weg.
    Nicht einschlafen, Leni!, feuerte ich mich selber an und riss die Augen auf. Nicht schlappmachen!
    Aber meine Sinne gehorchten mir nicht mehr. Die Konturen des Seins und Nichtseins verwischten erneut, alles wirkte so unwirklich …
    Dann hörte ich Musik. Leise Musik.
    Ich sank noch tiefer ins Nichts.
    Durst, ich habe Durst.
    Werde ich sterben? Will Marc mich hier sterben lassen?
    Wir hatten doch so schön getanzt. Marc hatte mir gestanden, dass er ein Fan von Paul Young sei, lächelnd und ein wenig verlegen. »
Everytime you go away
ist mein Lieblingssong.«
    Yes, sing it, boys!
    Sing the song!
    Ich konnte nicht tanzen. Außerdem wollte ich doch weg.
    Oh Gott, ich habe so schrecklichen Durst.
    Come on, baby, dance!
    Als ich aufschaute, da stand er vor mir. Ich musste zu ihm aufblicken.
    »Ups«, sagte ich. Das bekloppteste, das peinlichste und überflüssigste Ups meines Lebens.
    »Was ›Ups‹?« Marc grinste mich fragend an.
    Und die Jungs singen den Song …
    »Ähm … ich wollte nur sagen, dass ich fast … ähm … in dich hineingerannt wäre«, stammelte ich. Mein Gesicht glühte.
    Er grinste noch breiter – und sah dabei so unverschämt gut aus, dass mein Herz wilde Purzelbäume schlug.
    »Kein Problem«, sagte er.
    Mir fiel nichts ein, wenigstens nichts, das einigermaßen intelligent oder witzig geklungen hätte. Also presste ich die Lippen fest aufeinander und starrte auf meine Fußspitzen.
    One more time. Sing it, boys!
    »Tanzt du mit mir?«, fragte Marc.
    Ich habe Durst. Alles ist trocken. So trocken.
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht tanzen.«
    »Es ist ganz einfach. Komm her, ich zeig es dir …«
    Unsere Körper verschmolzen miteinander. Die Musik, so schön, der langsame Rhythmus. Marc duftete so gut.
    Sing it, boys!
    »Sei ganz locker … Lass dich einfach fallen … Ich fange dich auf, ich fange dich immer auf

Weitere Kostenlose Bücher