Die Tiefen deines Herzens
lernen, mich besser zu beherrschen. Ich habe mir geschworen, nicht wütend zu werden, egal, was du sagst. Aber … die Vorstellung, dass ich dich verliere, hat mich einfach so fertiggemacht …«
»Du wirst mich nicht verlieren, Marc«, hatte ich geflüstert und alle Erinnerungen an die vergangenen Tage weit von mir geschoben. Ich wollte glauben, was ich sagte. Ich wollte, dass alles wieder so wurde wie zuvor. »Aber du musst professionelle Hilfe annehmen. Hörst du?!«
Im Rückspiegel sah ich, wie er gequält die Augen zusammenkniff. »Ich denke darüber nach.«
»Versprochen?«
Er presste die Lippen aufeinander und schüttelte leicht den Kopf. »Ich denke darüber nach«, sagte er noch einmal.
Dann hatten wir das Krankenhaus erreicht, und Marc war bei mir geblieben, bis ich im Rollstuhl in den Untersuchungsraum gefahren wurde.
Danach hatte ich ihn nicht mehr gesehen.
»Okay, wo ist er?« Ich versuchte, mich ein wenig im Bett aufzurichten, doch dazu war ich noch zu schwach. Bestimmt von der Narkose. So beschränkte ich mich darauf, den Blick erwartungsvoll auf die Tür zu richten.
Clara schaute mich entsetzt an und auch Jamie schien mein Verhalten nicht nachvollziehen zu können. »Leni, dir hätte sonst was passieren können. Das, was Marc da getan hat, ist kein Spaß mehr gewesen«, sagte er ernst.
Ich weiß. Ich weiß. Ich weiß. Aber ich möchte es jetzt abhaken, wollte ich sagen. Doch Claras plötzlicher Tränenausbruch hielt mich davon ab.
»Was ist los?« Sie weinte nicht meinetwegen. Ich wusste es. Ich spürte es ganz deutlich.
Sie presste die Faust gegen die Stirn. »Marc … er … er ist …«
»Was ist mit ihm?«, fuhr ich sie an.
Jamie wollte mir die Hand auf den Unterarm legen, aber ich schüttelte sie mit einer heftigen Geste ab. Auf einmal war mir kalt. Eiskalt.
»Er ist tot, Leni«, sagte Jamie. Er hatte Tränen in den Augen, und beinahe hätte ich ihn angeschrien, dass er nicht so einen Scheiß reden sollte. Dass ich seine schrägen Scherze jetzt nicht ertragen konnte.
»Was redest du da?«, fragte ich stattdessen mit erstickter Stimme.
Jamie wischte sich die Augen und Clara hörte nicht auf zu schluchzen.
Ich schüttelte den Kopf, schüttelte immerzu den Kopf und starrte vor mich hin. »Nein … nein«, stammelte ich. »Das … das ist doch Unsinn. Ihr zieht hier irgend so eine abartige Show mit mir ab.«
»Marc hatte einen Autounfall«, sagte Jamie schließlich. »Er ist frontal gegen einen Baum gefahren. Er war sofort tot.«
W enn du dich allein fühlst, dich fürchtest oder traurig bist, dann schau zum Himmel hinauf, denn dort oben, auf einem Stern namens Sirius, da bin ich und wache über dich.
24
Manchmal träume ich von unserem zweiten Abend im Imperial Hotel in London.
Ich sehe uns durch das Zimmer tanzen, spüre seine Hand auf meinem Rücken, sein warmer Atem streift meinen Nacken.
Ich sehe ihn lächeln, seine dunklen Augen funkeln, die feine Narbe auf seinem Nasenrücken. Das braune Haar fällt ihm weich in die Stirn.
»Ich liebe dich«, raunt er mir ins Ohr. »Was auch immer geschehen mag, süße Leni, das darfst du nie vergessen.«
Er bohrt seinen Blick in meinen, auffordernd, als ob er mich bitten wollte: Sag es doch nur einmal. Nur ein einziges Mal möchte ich aus deinem Mund hören, dass du mich auch liebst.
Aber ich schaue ihn nur an, presse die Lippen fest aufeinander und schweige …
Es war für August ein viel zu kalter Morgen, als Marc auf dem Friedhof in Harlow Mill neben seiner Mutter Rose beerdigt wurde. Um sein Grab hatten sich nur eine Handvoll Menschen versammelt, die engsten Freunde. Jamie hatte es so gewollt, weil er wusste, dass auch Marc es so gewollt hätte.
Ich war nicht gekommen. Dazu hatte mir einfach die Kraft gefehlt. Aber Clara hatte mir später alles genau erzählt. Dass es irgendwann wie aus Eimern geschüttet und sie zu Jamie gemeint hätte, dass der Himmel weinen würde, weil so ein wunderbarer Mensch wie Marc von uns gegangen war.
Doch Jamie hatte ihr widersprochen. Wie immer.
»Das sind Freudentränen,
honey
. Die Engel feiern ein großes Fest, weil sie endlich einen so verdammt gut aussehenden Kerl wie unseren Marciboy bei sich haben. Und wenn er erst mal singt, dann werden sie alle seinem Charme erliegen.«
Clara hatte unter Tränen gelacht und da hatte Jamie ihr mit einem Taschentuch das Gesicht getupft. »Weine nicht. Marc ist glücklich da oben. Das weiß ich ganz sicher. Jetzt hat er endlich den Frieden in sich gefunden,
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