Die Time Catcher
uns ihn zuerst sieht, gibt dem anderen sofort Bescheid. Und dann treffen wir uns hier, um gemeinsam zu fliehen. Alles klar?«
»A lles klar«, bestätigt sie und bewegt ihren Kopf auf mich zu.
»W as tust –«, beginne ich, verstumme jedoch, als sich unsere Lippen berühren.
Sie hat mich geküsst! Auf den Mund! Ich fühle mich leicht wie eine Feder. Wenn ich wollte, könnte ich abheben, dann über die Rekruten hinwegsegeln, bis ich Ben gefunden habe. Ein kleiner Sturzflug und im Handumdrehen …
»E rde an Caleb!«
Sie hat mich geküsst!
»H allo! Alle Time Catcher bitte herhören!«, sagt Abbie.
»W as?«
»W ir sollten jetzt loslegen.«
»A ch ja«, sage ich.
Abbie schiebt die Tür einen Spaltbreit auf.
»W arte!«
Sie dreht sich zu mir um.
»W enn irgendwas passiert –«, beginne ich.
Abbie schneidet mir das Wort ab. »K eine Sorge. Ich weiß genau, was zu tun ist.«
»S ag es mir.«
»C ale, wir verplempern –«
»I ch muss es von dir hören.« Meine Stimme bebt, doch es macht mir nicht das Geringste aus.
Ich schaue sie an. Betrachte ihr Gesicht, als wolle ich mir jede Kleinigkeit sorgsam einprägen. Es hört sich vielleicht merkwürdig an, doch plötzlich beschleicht mich das seltsame Gefühl, dass ich Abbie vielleicht niemals wiedersehe.
Sie seufzt. »O kay. Wir haben beide zehn Minuten, um ihn zu finden. Wenn wir uns bis dahin noch nicht Bescheid gegeben haben oder wenn einer von uns auf die Gedankennachricht des anderen nicht reagiert, dann ist irgendwas schiefgelaufen. Wenn das passiert, werde ich nicht auf dich warten. Dann mache ich einen direkten Zeitsprung zum 15. Juli 1967 und werde vor der Derne Street Nummer 55 landen. Dort treffen wir uns.«
»I ch werde da sein«, versichere ich. Diesmal hört sich meine Stimme entschlossen und fest an, obwohl ich offen gestanden keinen Schimmer habe, wie ich ohne Abbie in die Vergangenheit gelangen soll. Doch werde ich von diesem Teil des Plans niemals Abstand nehmen, das weiß Abbie genau. Ich habe sie schon viel zu sehr in Gefahr gebracht. Falls ich geschnappt werde … oder mir noch Schlimmeres zustößt, dann muss ich wissen, dass sie in Sicherheit ist.
Wir sehen uns in die Augen. Dann sagt sie: »I ch gehe jetzt, zähl bis zehn und folge mir dann.«
Sie schlüpft aus der Tür und ist verschwunden.
Ich streiche mit einem Finger über meine Lippen – die Lippen, die Abbie geküsst hat – und beginne zu zählen.
Bei zehn verlasse ich den Geräteraum und versuche, mich so ungezwungen wie möglich zu bewegen. Als hätte ich jedes Recht, hier zu sein. Ich lasse meinen Blick rasch durch die Trainingshalle schweifen – von Mario ist glücklicherweise nichts zu sehen.
Ich schlendere zur ersten Gruppe von Rekruten, die sich um eine Schaufensterpuppe geschart hat, an der kleine Glöckchen befestigt sind. Wenn sich jemand zu ungeschickt anstellt, ist ein Klingeln zu hören – eine Standardübung für Taschendiebe in spe. Als ich an ihnen vorbeigehe und nacheinander ihre Gesichter betrachte, schauen einige in meine Richtung, doch niemand scheint sich an meiner Gegenwart zu stören. Kurz darauf weiß ich, dass Ben nicht unter ihnen ist.
Die nächste Gruppe hört einem Trainer zu, der einen ausführlichen Vortrag über die Kunst hält, während einer Mission mit seiner Umgebung zu verschmelzen. Wie unschwer zu erkennen ist, schweifen die Rekruten bereits mit ihren Gedanken ab, zappeln herum, glotzen in die Luft oder tuscheln miteinander.
Während ich die übrigen Rekruten in Augenschein nehme, halte ich nach einem roten Haarschopf Ausschau. Ich entdecke zwei rothaarige Jungen in der richtigen Größe, kann ihre Gesichter jedoch nicht erkennen. Nach einiger Zeit dreht mir einer von ihnen sein Profil zu. Doch es ist definitiv nicht Ben.
Bleibt der andere. Ich muss auf die andere Seite gehen, um ihn mir von vorn anzusehen. Damit ziehe ich zwar eine gewisse Aufmerksamkeit auf mich, doch bleibt mir keine andere Wahl.
»E ntschuldigung«, sage ich und bahne mir meinen Weg durch einige Rekruten hindurch. Ich bin fast am Ziel, als ein paar Finger, die sich wie Krallen anfühlen, meine Schulter packen.
Ich wirbele herum.
»W as für eine Überraschung«, sagt Mario, ohne seinen Griff zu lockern.
Unzählige Gefühle stürzen auf mich ein: Hass, Wut, Frustration und das Verlangen, ihm wehzutun. Doch wenn ich Ben retten will, muss ich einen kühlen Kopf bewahren. Ich schaue ihm also direkt in die Augen und unterdrücke alle Emotionen.
»H allo,
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