Die Time Catcher
Belohnung. Wie wäre es mit einer weiteren Stunde Schlaf?
»B is gleich, Cale. Ich warte an der Feuertreppe auf dich.«
»O kay«, murmle ich, immer noch ein wenig benommen.
»À bientôt!«, erwidert sie.
»A … was?«, frage ich.
»D as ist Französisch für bis bald«, erklärt Abbie.
Ich durchforste mein Hirn nach einer geistreichen Erwiderung, doch ehe mir eine einfällt, hat Abbie den Raum bereits verlassen.
Ich trotte ins Badezimmer und betrachte mich im Spiegel. Dunkle Ringe unter den Augen und verstrubbelte Haare – na super. Ich ziehe die Klamotten aus und trotte unter die Dusche. Das Wasser spritzt genau in der Temperatur und dem Druck aus den Düsen, die für mich einprogrammiert sind.
Ich strecke einen Arm zur Seite, damit die Bandage meines verletzten Handgelenks nicht nass wird. Die Dusche tut mir gut. Für einen glückseligen Moment schließe ich die Augen und lasse das Wasser alles fortwaschen – Onkel, Mario, Abbie. In letzter Zeit habe ich das Gefühl, die Kontrolle über mein Leben zu verlieren.
Für eine Minute stelle ich das Wasser so heiß, dass ich es gerade noch aushalte, ehe ich es abdrehe. Mit einem um die Hüften geschlungenen Handtuch schlendere ich in den Aufenthaltsraum zurück. Ein Rolling-Stones- T-Shirt , eine Jeans und ein Paar Adidas-Turnschuhe liegen schon für mich bereit. Wie geschaffen für einen Trip in die 60er-Jahre.
Auf meinem Weg zur Feuertreppe trinke ich den letzten Rest des Orangensafts direkt aus dem Tetrapack.
Wenn ich nicht so viele andere Dinge im Kopf hätte, wäre ich vielleicht nervös, was die bevorstehende Mission betrifft. Schließlich geschieht es nicht oft, dass wir von Onkel persönlich gebrieft werden. Und noch seltener ist es, dass Onkel Auftraggeber und Kunde zugleich ist. Ganz zu schweigen von seiner Ermahnung, ich solle bloß keinen Mist bauen.
Wie gut, dass ich über all diese Dinge nicht nachdenke.
»A lles bereit«, sage ich, als ich nach draußen trete.
»E cht groovy«, entgegnet Abbie und macht das Peace-Zeichen.
Immer noch lächelnd, tippt sie auf ihr Handgelenk und verschwindet. Bevor ich dasselbe tun kann, sehe ich einen Vogel, ich glaube, es ist ein Spatz, der über mir hoch in den Himmel steigt und in westliche Richtung davonfliegt. Als ich ihm nachblicke, geht ein Glücksgefühl durch mich hindurch. Ich klopfe auf mein Handgelenk und verlasse mit dem Gedanken an den Vogel das Jahr 2061.
8. Juli 1967, 19:00 Uhr
Expo 1967, Montreal, Kanada
Operation Blauer Vogel
I ch lande in einer engen Gasse, die von einem Gebäude und einer Reihe hoher Sträucher gesäumt wird. Ein süßlicher Geruch erfüllt die Luft, ich glaube, es ist Jasmin. Sobald sich der Zeitnebel auflöst, gehe ich um das Gebäude herum, bis ich seine Vorderseite erreiche. Sie ist imposant und weiß, mit bogenförmigen roten Türen und einem grünen Ziegeldach. Meine Auftragsdaten sagen mir, dass es sich um den chinesischen Pavillon handelt. Entweder ist er sehr beliebt, oder es gibt darin umsonst etwas zu essen, denn die Schlange der Wartenden, die hineinwill, ist unfassbar lang.
Plötzlich spüre ich ein leichtes Prickeln im Nacken, als würde mich jemand von hinten betrachten. Ich drehe mich langsam zur Seite und tue so, als würde ich mir einen Eindruck von der Umgebung verschaffen, um einen Blick auf meinen stummen Beobachter zu erhaschen.
Doch sehe ich nichts als die übliche Ansammlung von Touristen, die fast ausnahmslos mit Kameras ausgestattet sind.
Ich setze mich in Bewegung und halte nach Abbie Ausschau. Es müssen etwa dreihundert Leute hier sein. Wie üblich sind wir angewiesen, per Gedankenübertragung miteinander Kontakt aufzunehmen, sollten wir uns dreißig Sekunden nach der Landung immer noch nicht sehen – aber das ist ja langweilig. Ich gehe also rasch an der Schlange der Wartenden entlang und versuche, irgendwo Abbies ausladenden Schlapphut zu erblicken.
Wird schon wärmer, Honey, foppt sie mich.
Dann sehe ich sie plötzlich, etwa drei Meter von mir entfernt, ziemlich am Anfang der Schlange. Ich frage mich, wie sie so schnell dorthin gelangt ist, doch Abbie ist eine Meisterin darin, sich unbemerkt in größeren Menschenmengen zu bewegen.
»H ey, Mann«, sagt sie mit breitem Akzent zu mir. »A lles easy?«
»N a logo«, entgegne ich.
Abbie lacht. »B ist echt ’n abgefahrener Typ.«
»Ä h, danke«, sage ich. Ich weiß zwar nicht, ob man sich in den Sechzigern für so was bedankt hat, aber mein kleines Repertoire an
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