Die Time Catcher
ich am liebsten entgegnet. Doch ich beiße mir im letzten Moment auf die Zunge.
»V ielleicht hast du recht«, sage ich stattdessen. »I ch weiß wirklich nicht, was ich eigentlich will. Aber eines will ich auf keinen Fall: die Karriereleiter hinaufkrabbeln, um Onkels Stellvertreter zu werden.«
»G ute Nacht, Cale. Ich geh jetzt ins Bett«, sagt sie. »D as solltest du auch tun. Wir haben morgen einen anstrengenden Tag vor uns.«
»O kay, werd ich machen. Gute Nacht.« Ich blicke ihr hinterher, als sie den Aufenthaltsraum verlässt. Ich bin müde, doch ins Bett gehen werde ich keinesfalls. Unser gerade beendetes Gespräch spukt mir immer noch im Kopf herum.
Abbie war richtig wütend auf mich, als ich ihr erzählt habe, dass ich auf Onkels Expansionspläne nicht begeistert reagiert habe – als hätte ich nicht begriffen, was er mir erzählen wollte.
Vielleicht denkt sie wirklich, dass ich bei Onkel die Nummer eins sein wollte und es jetzt vermasselt habe. Was bedeuten würde, dass sie mich überhaupt nicht kennt. Aber warum sollte mich das überraschen? In diesen Tagen erkenne ich mich selbst kaum wieder.
Ich muss all diesen negativen Gedanken über Abbie Einhalt gebieten. Doch mein Gehirn gehorcht mir nicht. Die lästigen Gedanken machen sich immer wieder bemerkbar.
Außerdem gibt es noch einen weiteren Grund, warum ich nicht besonders scharf darauf bin, bald ins Bett zu gehen. Denn sobald ich den Raum betrete, wird Mario mich sofort löchern, wie das Gespräch mit Onkel verlaufen ist. Und auch Raoul wird seinen Teil dazu beisteuern, indem er unaufhörlich schnarcht, sich räuspert oder andere seltsame Geräusche von sich gibt.
Nein, da bleibe ich lieber noch ein bisschen für mich. Falls ich Glück habe, sind beide schon eingeschlafen, wenn ich mich später ins Zimmer schleiche.
Ich strecke mich auf der Couch aus, schließe kurz darauf die Augen. Und schon bin ich eingeschlafen.
24. Juni 2061, 7:08 Uhr
Edles für die Ewigkeit, Hauptquartier
Tribeca, New Beijing (früher New York City)
R aus aus den Federn, Cale!«, zwitschert Abbie.
»B in schon auf«, brumme ich, was fast der Wahrheit entspricht, weil ich mich auf der Couch ein bisschen aufgerichtet habe.
»S ag mal, hast du da etwa geschlafen?«, fragt sie mich.
Ich grunze bestätigend. Es ist noch viel zu früh am Morgen, um zusammenhängende Worte von sich zu geben.
Abbie hat sich schon für die Mission umgezogen. Sie trägt eine rosa Sonnenbrille mit ovalen Gläsern, einen Schlapphut, ein gebatiktes T-Shirt und eine ausgewaschene Jeans. Sie sieht wunderhübsch aus, eine richtige 60er-Jahre-Schönheit.
Sie gibt mir einen Jeansrucksack, der mit einem großen weißen Friedenssymbol bemalt ist. Überflüssig zu fragen, was darin ist, weil ich es schon weiß: ein exaktes Duplikat der Xuande-Vase, das wir gegen die echte austauschen werden.
Ich setze mich auf und blicke an meinem Körper hinab. Mein Nacken schmerzt und mein linker Arm prickelt. Ich habe geträumt, dass Shu Fang sich aus dem Aquarium befreit hat, zu mir nach unten gekrochen kam und mich gebissen hat, während ich schlief. Er infizierte mich mit einem langsam wirkenden Gift, das sich anfangs in meinem Arm bemerkbar machte, um sich anschließend den Weg zu meinem Herzen zu bahnen. Kurz vor meinem Tod habe ich Nassim all meine weltliche Habe – mein Messer und mein Schnitzwerk – gegeben, der sie in einen Briefumschlag mit der Aufschrift »D ie irdischen Hinterlassenschaften von Caleb dem Time Catcher« steckte.
»N a, komm schon, Schlafmütze!«, fordert Abbie mich auf. Die Operation Blauer Vogel beginnt gleich!«
»O peration was?«
»B lauer Vogel. Erinnerst du dich nicht an den hübschen blauen Vogel auf der Vase des Xuande? Der war in Kobaltblau gemalt, ergo: Operation Blauer Vogel! «
»E rgo?«
»M achst du dich etwa über meine Ausdrucksweise lustig?«
Ich schüttele den Kopf, weil das weniger anstrengend ist, als zu reden.
»S teh auf, wir reisen nach Montreal«, sagt sie.
»W irklich?«
»D u weißt ganz genau, dass wir nach Montreal wollen, Herr Zeitvertrödler. Aber du weißt bestimmt noch nicht, dass Montreal meine absolute Lieblingsstadt ist.«
»W arum?«
»W arum? Weil sie wunderschön und sehr romantisch ist!« Sie zwinkert mir zu, und zum hundertsten Mal frage ich mich, was ihr eigentlich durch den Kopf geht, wenn sie solche Sachen sagt.
Mittlerweile bin ich auf den Beinen, was ich als ziemliche Leistung betrachte. Ich verdiene definitiv eine
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