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Die Time Catcher

Die Time Catcher

Titel: Die Time Catcher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ungar
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was ich sehe, bevor ich mein Handgelenk berühre und das Jahr 1423 verlasse, sind Shens große ungläubige Augen.

24. Juni 2061, 8:20 Uhr
    Edles für die Ewigkeit, Hauptquartier
    Tribeca, New Beijing (früher New York City)
    I ch lande der Länge nach neben der untersten Stufe der Feuerleiter auf der Rückseite von Edles für die Ewigkeit . Da es ziemlich schwül ist, habe ich nichts dagegen, noch ein bisschen auf dem Bauch zu liegen, denn von Zeitstarre und Zeitnebel geplagt kann ich ohnehin nichts anderes tun. Meine Schulter fühlt sich warm an, und erst nach einer Weile begreife ich, dass die Wärme von der Vase herrührt, die in meiner Tasche ist. Um mich her ist es ruhig.
    Ich sauge die feuchtwarme Luft New Beijings in meine Lunge und spüre, wie ich wieder zu mir komme.
    Mein Fingernagel sagt mir, dass es erst 8:20 Uhr ist, obwohl es mir viel später vorkommt. Wenn ich während einer Mission einen unerlaubten Abstecher mache, programmiere ich meine Reise stets so, dass sich am Zeitpunkt meiner Rückkehr nichts ändert. Auf diese Weise kommen meine kleinen Ausflüge nie ans Tageslicht.
    Nach ein paar Minuten stehe ich auf und gehe um das Gebäude herum zum Haupteingang.
    Ich nehme die Stufen in Angriff. Alles sieht ruhig aus. Plötzlich verspüre ich den Drang, auf dem Absatz kehrtzumachen und davonzulaufen – auch wenn es in meiner gegenwärtigen Verfassung wohl eher ein Torkeln wäre. Eine Flucht mag feige sein, aber das wäre mir egal. Was mich wirklich daran hindert, ist das Wissen, dass Nassim mich über kurz oder lang finden und zurückbringen würde.
    Ich betrete den Aufzug.
    »B itte in den dritten Stock, Phoebe.«
    Der Wandmonitor erscheint. Phoebe trägt eine Soldatenuniform und robbt über ein schlammiges Schlachtfeld.
    »D u sitzt ziemlich in der Tinte«, sagt sie.
    »W ie meinst du das?«, frage ich, doch mein Magen zieht sich bereits zusammen.
    »M ario fragt überall herum, ob dich jemand gesehen hat. Aus irgendeinem Grund ist er stinksauer auf dich, will aber nicht sagen, warum. Ich hab ihn schon seit Monaten nicht mehr so wütend erlebt.«
    »G ut«, sage ich. Doch meine zitternde Stimme verrät mich.
    »G ut?«, wiederholt Phoebe. »E iskrem ist gut. Holo-Filme von Außerirdischen, die fertiggemacht werden, sind gut. Aber ein wütender Mario ist nicht gut, das kannst du mir glauben.«
    Nicht zum ersten Mal wünschte ich, es gäbe in diesem Gebäude ein Treppenhaus.
    »B itte in den dritten Stock«, wiederhole ich.
    »Z eig mir zuerst, was du mir mitgebracht hast«, fordert sie mich auf. Der Monitor verändert sich, und plötzlich ziert Phoebe die Uniform eines Vier-Sterne-Generals. Sie steht vor einer großen Europakarte, auf der sie die Position einiger Reißzwecken verändert.
    Ich greife seufzend in meine Tasche und ziehe die Porzellanschildkröte heraus.
    »D u hast mir eine Schildkröte mitgebracht? Willst du mir damit etwa sagen, dass ich langsam bin?«
    »Ü berhaupt nicht«, widerspreche ich. »O nkel sagt, dass die Schildkröte ein Symbol für Glück und ein langes Leben ist. Außerdem ist es nicht einfach nur eine Schildkröte. Sie trägt eine Inschrift, schau doch mal.«
    »H m, halt sie mal hoch, damit ich sie lesen kann.«
    Ich strecke ihr die Schildkröte entgegen. Ihr cremefarbener Panzer ist von kobaltblauen chinesischen Schriftzeichen bedeckt. Dann hebt Phoebe an zu rezitieren:
    »Ich sitz’ allein im dunklen Bambushain,
    beim Zitherspiel sing ich ein Liedchen fein.
    Ganz tief im Wald bin ich allein,
    bade mich im Mondlicht so rein.«
    Für einen Augenblick herrscht eine wundervolle Stille im Aufzug. Dann höre ich ein lang gezogenes Seufzen.
    »D as ist es, was das frühe Aufstehen lohnenswert macht«, sagt Phoebe. »I ch habe selbst schon mit dem Gedanken gespielt, so etwas auszuprobieren, also Verse zu einer bestimmten Gelegenheit zu schreiben. Vielleicht könnte ich ja etwas zu deiner Beerdigung dichten.«
    »Z u meiner Beerdigung?«
    Phoebe stößt einen schnarrenden Laut aus, der wie ein Lachen klingt.
    »M ario ist stinkwütend auf dich, Caleb«, sagt sie. »S eine Worte, nicht meine. Schon möglich, dass das Ganze diesmal mit einem kleinen Trip in die Wüste für dich endet.«
    »W ovon redest du?«, frage ich. »E s war mein Auftrag. Er hatte überhaupt kein Recht, sich dort aufzuhalten.«
    »S timmt schon«, entgegnet Phoebe. »A ber hier geht es doch um den richtigen Dreh, oder? Und nimm es nicht persönlich, aber wenn es darum geht, sich selbst bei Onkel ins

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