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Die Time Catcher

Die Time Catcher

Titel: Die Time Catcher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ungar
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mich besser tarnen sollen, bevor ich hierherkam. Hätte! Hab ich aber nicht. Das kommt wegen dieser Sache mit Mario. Die verleitet mich zu Fehlern.
    So viel also zu meinem Vorhaben, nicht aufzufallen.
    »W u Yingxing ist als Kunsthandwerker Mitglied der kaiserlichen Gilde«, erklärt der Alte. Ich stoße einen Seufzer der Erleichterung aus. Dies ist mein erster richtiger Durchbruch, seit ich hier angekommen bin.
    »V ielen Dank«, erwidere ich. »W ären Sie so freundlich, mir sein Atelier zu zeigen?«
    Ich muss etwas Komisches gesagt haben, weil alle zu kichern und zu gackern anfangen.
    Schließlich antwortet der Alte: »E r hat kein eigenes Atelier. Er arbeitet mit vielen anderen zusammen.«
    »I ch verstehe«, sage ich. Und das tue ich wirklich. Künstler hatten es in allen Jahrhunderten schwer, sich finanziell über Wasser zu halten. Da ist es doch naheliegend, sich die Miete zu teilen.
    »I ch wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir zeigen würden, wo er arbeitet«, fahre ich fort.
    Der alte Mann schaut mich für einen Moment an, ehe er sich umdreht und so leise zu den anderen spricht, dass ich ihn nicht verstehe. Doch was auch immer er sagt, scheint eine hitzige Diskussion auszulösen. Ich bekomme nur Bruchstücke davon mit, weil alle durcheinanderreden und mein automatisches Übersetzungssystem überfordert ist.
    Die lebhafte Diskussion geht noch fünf Minuten weiter, ehe sie ebenso schnell beendet ist, wie sie begonnen hat. Der alte Mann dreht sich zu mir um und sagt: »W ir konnten uns nicht einigen, wem die Ehre zufallen soll, dich zum Arbeitsplatz von Wu Yingxing zu begleiten. Also haben wir entschieden, dass alle zusammen gehen.«
    »V ielen Dank«, sage ich. »A ber das ist wirklich nicht nötig.«
    Ob nötig oder nicht, ich bin überstimmt. Wir setzen uns auf dem Pfad in Bewegung, die Erwachsenen zuerst, dahinter die Kinder und ich in der Mitte des Sandwichs. Wegen des steinigen Untergrunds halte ich meinen Kopf gesenkt, um genau sehen zu können, wohin ich meine Füße setze. Als ich schließlich aufblicke, bin ich überrascht, dass unsere kleine Delegation gar nicht in Richtung Jĭngdézhèn unterwegs ist. Wir entfernen uns vielmehr von dem Dorf und gehen auf die eiförmigen Hütten zu, die sich auf dem nächsten Hang befinden.
    Perfekt. Ich habe meine eigene Ehrenwache. Und was werde ich tun, wenn ich die echte Xuande-Vase entdecke? Soll ich alle bitten, sich für einen Moment die Augen zuzuhalten, damit ich sie gegen das Duplikat austauschen und dann verschwinden kann?
    Unsere Prozession setzt ihren Weg fort, verlässt den Weg und zieht den Hügel hinauf. Der alte Mann legt ein höllisches Tempo vor, und ich muss mich mächtig anstrengen, um Schritt zu halten.
    Ein heftiger Schwindel überfällt mich und lässt mich fast über meine eigenen Füße stolpern. Das hatte ich befürchtet. Ich weiß, dass ich länger im Jahr 2061 hätte verweilen sollen, bevor ich erneut in die Vergangenheit aufbrach. Der kurze Zwischenstopp in New Beijing war offenbar nicht ausreichend, um den Zeitnebel zu vertreiben.
    Nach etwa zwanzig Minuten erreichen wir den Gipfel des Hügels. Die Luft ist von Rauch und Gerüchen erfüllt, die ich nicht identifizieren kann. Ich recke meinen Hals, um zwischen den neun oder zehn Erwachsenen hindurchzublicken, die unsere Prozession anführen.
    Hier oben summt es wie in einem Bienenstock. Leute laufen durcheinander und rufen sich etwas zu. Als ich genauer hinsehe, erkenne ich eine gewisse Ordnung in dem vermeintlichen Wirrwarr. Jedermann – und ich meine damit wirklich Männer, weil weit und breit keine einzige Frau zu sehen ist – geht seiner eigenen Tätigkeit nach. Manche tragen Brennholz. Andere hocken auf dem Boden, kneten und bearbeiten ein Material, das wie weißer Ton aussieht. Wieder andere lassen aus dem Material Figuren entstehen, füllen es in Formen oder bearbeiten die Ecken und Kanten mit Messern. Fünf Männer sind damit beschäftigt, die Umrisse von Tieren direkt auf die Vasen zu zeichnen.
    Mein Blick wandert zur ovalen Hütte hinüber. Sie ist mindestens dreimal so groß wie die rechteckigen, die sie umgeben, und besteht ausschließlich aus sonnengetrockneten Ziegelsteinen. Ich vermute, dass es sich um einen Brennofen handelt, in dem die Vasen und andere Objekte bei hohen Temperaturen zu Porzellan gebrannt werden. Zwei Männer schauen durch kleine Öffnungen hinein. Sie sehen aus wie Mumien, weil sie von Kopf bis Fuß in Stoffstreifen eingewickelt sind. Selbst ihre

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