Die Time Catcher
Filewap.«
»N ein, Onkel!«, flehe ich.
»U nd du bist AB !«
Ein gleißend blauer Lichtstrahl schießt von der Schwertspitze nach unten und trennt meinen kleinen Zeh ab. Ein brennender Schmerz explodiert in meinem Fuß.
Das Letzte, was ich höre, bevor ich das Bewusstsein verliere, ist Onkels Stimme: »D ie Neun, Caleb, ist vielleicht die wichtigste Zahl in China. Neun ist der Drache. Neun ist die Anzahl der Palasttore im Inneren der Verbotenen Stadt. Neun ist die Anzahl der Steinringe, aus denen die oberste Schicht des kreisrunden Himmelsaltars besteht. Und jetzt«, er macht eine Pause, »i st neun die Anzahl deiner Zehen.«
25. Juni 2061, 15:24 Uhr
Edles für die Ewigkeit, Hauptquartier
Tribeca, New Beijing (früher New York City)
I ch wache in meinem Bett im Hauptquartier auf. Wie bin ich hierhergekommen? Nassim muss mich getragen haben.
Ich werfe die Decke zur Seite und setze mich auf. Um meinen Fuß ist ein dicker weißer Verband. Ein Glas Wasser und ein Pillenfläschchen stehen neben mir auf dem Nachttisch. Ich spüle zwei Pillen hinunter, bevor ich die Beine aus dem Bett schwinge und aufstehe. Erstaunlicherweise ist der Schmerz erträglich. Ich mache ein paar unsichere Schritte und verliere dabei fast das Gleichgewicht.
Tausend Gedanken rasen durch meinen Kopf. Das Metamorphose-Projekt. Eduardo, der spanische Junge. Mario auf der Expo ’67. Und Ben. Ich muss hier raus und irgendeinen Ort finden, an dem ich in Ruhe über alles nachdenken und überlegen kann, was ich jetzt tun soll.
Ich schüttele noch zwei Pillen aus dem Fläschchen und stecke sie mir in die Tasche. Dann fasse ich einen spontanen Entschluss und nehme das ganze Fläschchen mit. Als Nächstes schnappe ich mir meine Schnitzarbeit und das Messer und lasse beides in meiner anderen Tasche verschwinden. Fertig.
Der Flur ist leer. Alle müssen auf irgendwelchen Missionen sein. Ich trotte zum Aufzug.
»A lso wenn das nicht Caleb ist, der halb durchsichtige Zeitdieb«, sagt Phoebe. »D as war ja ein unglaubliches Foto von dir.«
»D as kannst du laut sagen«, stimme ich ihr zu.
»W o willst du hin?«, fragt Phoebe. Sie trägt heute eine weiße Krankenschwesterntracht. In der Hand hält sie ein Klemmbrett und einen Kugelschreiber.
»N ur ein bisschen spazieren«, antworte ich.
»K lingt seltsam«, sagt sie und notiert etwas.
»J a, vielleicht«, entgegne ich ausweichend. Je weniger sie weiß, desto besser.
»O kay«, sagt Phoebe, »w ie du meinst. Aber erwarte bloß nicht, dass du viele Freunde findest, wenn du weiter so einsilbig bist.«
»T u ich auch nicht.«
Die weitere Fahrt verläuft glücklicherweise in aller Ruhe. Ich steige in der Lobby aus und gehe in Richtung U-Bahn.
Als ich die Linie eins in die Vororte nehme, kommen mir Onkels eisige Worte zu Bewusstsein. »N eun ist der Drache … und jetzt ist neun die Anzahl deiner Zehen.«
Zum Glück ist mein Wagen so leer, dass ich ohne Probleme einen Sitzplatz finde. Ich schließe die Augen. In etwa fünfzehn Minuten werde ich da sein.
»M öchten Sie ein paar Pfadfinder-Glückskekse kaufen?«, fragt eine Stimme.
Das »S ie« erregt meine Aufmerksamkeit. Ich bin noch nie gesiezt worden. Als ich die Augen öffne, erblicke ich ein lächelndes rothaariges Mädchen, das eine grüne Uniform und eine Baskenmütze trägt. Die Lücke zwischen ihren Vorderzähnen ist so breit wie die Fifth Avenue. Ich schätze sie auf circa neun Jahre, was das »S ie« erklärt. Auf ihrem Namensschild steht Molly und sie ist nicht allein. Zwei identisch gekleidete, mürrisch aussehende Begleiterinnen stehen zu beiden Seiten ein wenig hinter ihr. Jede von ihnen hält vier, fünf rote Dosen in der Hand.
Für einen Moment bin ich versucht, mich so zu verhalten wie jeder richtige New Yorker, nämlich sie komplett zu ignorieren. Doch irgendwas, vielleicht ist es ihr Lächeln, lässt mich aufblicken und sagen: »P fadfinder-Glückskekse? Seit wann gibt’s denn so was?«
»D ie sind neu dieses Jahr. Wegen der Großen Freundschaft«, antwortet Molly.
Hätte ich mir ja denken können. »W as kosten sie?«
»Z ehn Dollar die Dose«, antwortet sie, ohne mit der Wimper zu zucken.
»N ein, ich meine, wie viel kostet ein Glückskeks?«, frage ich.
»D ie verkaufen wir nicht einzeln«, sagt sie, während ihr Lächeln rasch verblasst. »S ie müssen die ganze Dose kaufen. Aber es lohnt sich. Und Sie können die Kekse ja mit Ihren Freunden teilen.«
Ich frage mich, ob ich um einen Keine-Freunde-Nachlass bitten
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