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Die Titanic und Herr Berg

Die Titanic und Herr Berg

Titel: Die Titanic und Herr Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Fuchs
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Umtauschaktionen. In Liebe für dich, dieser Anrufbeantworter. Piep. Und noch eine Schere, um zu stutzen.
    Wenn ich nicht aus der Wohnung kann, muss ich nicht zu der dussligen Russin gehen, die hinter dem Verkaufstresen steht und wie eine Aufziehpuppe fragt: «Ist das alles?» Eine gute Frage. Kann das alles sein? Auf dem Sterbebett noch wird sie fragen: «Ist das alles?» Und wenn der Pfaffe der russisch-orthodoxen Kirche mal einen ehrlichen Moment hat, wird er sagen: «Ja, das ist alles. Drei Brötchen und eine Puddingschnecke. Das ist alles, kleines Lämmchen, kein Himmel, keine Wiedergeburt. Es gibt nur den einen Anschiss hier auf Erden und kaum Trinkgeld.»
    Nein, ich habe keine schlechte Laune, denn ich habe einen guten Grund, Tanja anzurufen. Sie kann Brötchen mitbringen und die Zeitung natürlich, und dann wolln wir doch mal hören, wie sie schreit, wenn sie kommt. Sie hat gesagt, ich könne sie jederzeit anrufen. Um acht ist jederzeit, und mehr als eine Stunde wird sie nicht brauchen, bis sie hier ist und mehr als eine halbe Stunde werde ich nicht brauchen, wenn sie hier ist. Dann können wir noch frühstücken. Mal sehn, ob sie so süß ist, wie ich sie in Erinnerung habe, die kleine Puddingschnecke.

    Am Freitag bin ich zum Sozialamt gegangen, um Sex zu beantragen, mit Kino vorher und essen gehen vorher und beieinander übernachten nachher, alles. Ich will meinen Mann ausführen und neben ihm laufen, spazieren. Wie läuft er? Schön. Was für eine Tasche nimmt er mit zur Arbeit? Leder. Hat er ein Fahrrad? Bestimmt. Wie wird er im Frühling aussehen? Schön. Trägt er kurzärmlige Hemden, oder krempelt er langärmlige Hemden hoch? Wer könnte er sein? Meiner. Ein Peter im Winter im Bett. Und wie ist ein Peter in der Stadt beim Frühstück? Ich bin zum Amt geschlendert in den Fußstapfen eines Menschen, der zufällig auch bis zum Sozialamt gegangen ist. Was wollte der Mensch im Amt? Hat der Mensch einen Nachnamen von H bis N, und hat er mit Peter gesprochen? War es eine junge Frau, und hat sie ihn angelächelt? Das gefällt mir nicht, aber er hat nicht zurück gelächelt. Ein Peter wird nicht geteilt, nie. Dazu ist er viel zu rar. Als ich vor dem Amt war, wollte ich lieber, dass er sich bei mir meldet. Er soll sich melden, wie ein fleißiger Schüler, der eine Eins in Mitarbeit bekommen will, mit Fingerschnipsen. Peters Mitarbeit ist im Moment eher vier. Aber er ist nicht versetzungsgefährdet. Er sitzt in mir fest. Aber er soll zu mir kommen. Ich gehe wieder nach Hause, quer durch die Stadt voller Menschen, die alle nicht Peter sind. Davon gibt es viele, sehr viele. Zu Hause gibt es kein Anzeichen dafür, dass es den Mann wirklich gibt, zwei leere Bierflaschen. Ich habe drei Hoffnungen jeden Tag, seit zwei Wochen. Sein Auto könnte vor der Tür stehen. Ich weiß nicht, ob er ein Auto hat und welche Farbe es haben könnte, weiß. Er hupt, wenn er mich sieht, laut. Er ist einfach da, endlich. Die zweite Hoffnung ist der Briefkasten. Er hat einen amtlichen Brief verfasst, den er mit der Amtspost schickt, an Frau Tanja Jannsen. Sehr geehrte Frau Jannsen. Ich vermisse Sie. Bitte melden Sie sich, zwecks Terminabsprache. Mit freundlichen Grüßen und freundlichem Stempel. Ihr Sachbearbeiter. Peter Nachname. Die dritte Hoffnung ist, dass er angerufen hat. Seit drei Tagen habe ich einen Anrufbeantworter, der hat noch nie geblinkt. Auch am Freitag hat er nicht geblinkt. Ich denke darüber nach, ob Peter etwas passiert ist und dass ich ihn im Krankenhaus besuchen werde, ganz in Gips, er kann nicht weg … da ruft er Samstagmorgen an. Und ich soll mich beeilen, sagt er. Ich habe einen Ameisenhügel voller emsiger Arbeiter in der Brust, die kribbelnd Puppen herum tragen, viele Kinder. Ich gehe schnell auf Klo und schreibe alle Fragen an ihn auf Klopapier. Ob er das Wort Filzstift schön findet? Ich ja. Oder findet er Zankapfel noch schöner? Ich nicht. Ob wir uns etwas zu Weihnachten schenken? Ja? Ich soll Brötchen mitbringen. Ich ziehe mich im Schnelldurchlauf an. Es ist egal, welchen Schlüpfer ich anziehe, er wird sowieso ausgezogen. Ich ziehe trotzdem einen schönen Schlüpfer an. Ich laufe durch die Wohnung und suche etwas, das ich noch mitnehmen muss. Anscheinend habe ich alles. Ich fühle mich aber anders. Ich bin mir nicht sicher, ob ich gespült habe. Ich sehe nach, habe ich. Habe ich das Stück Klopapier mit den Fragen eingesteckt? Habe ich. Dann bin ich mir nicht mehr sicher, dass er wirklich angerufen hat.

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