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Die Titanic und Herr Berg

Die Titanic und Herr Berg

Titel: Die Titanic und Herr Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Fuchs
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Hat er. Seine Stimme war dunkel, und er hat gesagt: «Hier ist Peter!» Ich hätte antworten können, dass ich gerade an ihn gedacht habe. Das könnte ich immer sagen. Er könnte immer anrufen, für immer.
    Ich finde nichts mehr, was ich mitnehmen muss. Ich habe nichts vergessen und gehe los. Es ist kalt und dunkel draußen. Die Straßenbahn kommt sofort. Sie ist leer wie die Straße, aber sonst das Gegenteil: warm und hell. Zu warm, deshalb ziehe ich meine Mütze vom Kopf. Meine Haare knistern. Ich denke an ein Feuer aus feuchten Ästen. Ich knister. Ich bin geladen. Peter, du hast mich eingeladen. Du kannst mir Energie aus den Brustwarzen saugen. Heute wird geküsst. Heute ist nächstes Mal. Er hat einen sehr kleinen Mund für sein Gesicht. Was er damit macht, will ich wissen. Küsst er mehr mit den Lippen oder mehr mit der Zunge? Und die Zähne? Und der Geschmack? Das muss ich nicht fragen. Das werde ich feststellen mit geschlossenen Augen. Und die Augen? Macht er die zu? Es ist heiß in der Straßenbahn, darum mache ich die Jacke auf. Es ist doch unsinnig, dolle zu heizen, wenn es draußen minus zehn Grad ist. Die Fahrgäste sind warm angezogen, und dann sind sie zu warm angezogen. Oder ist es unsinnig, sich warm anzuziehen? Für die eine Minute Fußweg. Dafür hätte ich keinen Schal um den Hals machen müssen. Ich lockere den Schal. Ich kann vom Küchenfenster aus sehen, wenn die Straßenbahn kommt. Ich könnte eigentlich im Pullover ohne Mütze losrennen und dann gleich wieder in die nächste Wohnung. Von einer Wärme in die andere. Warum überhaupt anziehen, wenn ich zum Liebsten fahre? Bei dem Gedanken an seinen Mund wird mir noch wärmer. Mir heizt der Mann durch den Leib. Ich ziehe die Jacke aus. Ich nehme den Schal ab und lege ihn auf die Mütze, auf den Nebensitz. Die Straßenbahn hält, eine Frau steigt aus. Ich bin jetzt allein in dem Wagen. Ich ziehe den Pullover aus und könnte auch gleich nackt zu ihm fahren. Keiner in der Bahn. Keiner außer einem aufgeregten Mädchen. Ein attraktives Mädchen. Im Film wird es von Franka Potente gespielt. Die Potente könnte das spielen: wie das aufgeregte Mädchen denkt, es hätte etwas vergessen. Die Potente ist zu alt. Ich habe nichts vergessen, nein. Seine Adresse, da. Geld für Brötchen, da. Eine Kopie meiner Geburtsurkunde, in der steht, dass ich nicht minderjährig bin, nein. Falls er Angst bekommt. Das Geburtsjahr stimmt nicht ganz, aber nur ein paar Jahre. Keine Angst, Peter, ich bin legal. Legale Drogen mit warmer Haut. Volljährig und unterwegs zu dir. Arm und verliebt. Ich ziehe mein T-Shirt aus. Mein BH ist blau, und draußen wird es hell. Grautöne werden mit Weiß aufgemischt, bis ein nebliger Tag entsteht. Kein Wetter für den Trödelmarkt. Wetter zum Liebe machen. Gestern war Nikolaus. Ich habe meinen Fahrausweis vergessen. Natürlich habe ich etwas vergessen. Ich fahre im BH, mit Gefühlen aus Tierfilmen: Brunft, Flucht, Jagd und Tarnung. Da gibt es auch Fremdwörter für. Wenn ich tue, als wäre ich ein Straßenbahnsitzbezug, und ganz still sitze, brauche ich die Fressfeinde nicht zu fürchten. Es kommen aber gar keine Kontrolleure, und ich bin da. Ich ziehe nur die Jacke drüber. Pullover, T-Shirt und Schal stopfe ich in den Rucksack. Meine Hände sind kalt wie kaputte Herdplatten. Peters Achselhöhlen werden gleich zwei nasse Handschuhe sein. Ich muss schnell laufen, damit mir warm wird. Ich kann schnell laufen, schneller. Er wartet, schneller. Ich soll eine Zeitung mitbringen. Beim Bäcker kaufe ich vier Brötchen und zwei Spritzkuchen. Im Zeitungsladen daneben kaufe ich einen Tagesspiegel.
    Sein Haus ist restauriert und gelb bemalt. Das Gelb sieht an diesem diesigen Tag aus wie auf einem nachbearbeiteten Schwarzweißfoto, zu bunt. Alle Häuser in der Straße haben diese Bonbonfarben: Erdbeere, Zitrone, Orange, mit Füllung in jedem Bonbon. Klebrige Mieter, die herausqueckern, wenn ich das Haus nicht lutsche, sondern zerkaue.
    Die Bäckersfrau war nett, sie hat gefragt: «Ist das alles?», und ich stelle fest, das ist nicht alles. Straße, Hausnummer, Vorname. Aber Nachname? Peter Strieß. Peter Deckert. Peter Ziemei. Mein zukünftiger Nachname springt mich nicht an. Ich stehe dumm wie blöd und dusslig vor lauter Nachnamen. Landgraf? Ich gehe wieder, und weil ich nicht nochmal schwarzfahren will, laufe ich, und weil ich Brötchen für zwei habe, gehe ich zu Frank. Ich friere. Der glatte Stoff der Jacke schlägt kühl bei jeder Bewegung an

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