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Die Titanic und Herr Berg

Die Titanic und Herr Berg

Titel: Die Titanic und Herr Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Fuchs
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«Viel Spaß!», wünsche ich Gesine.
    «Dir auch!», sagt sie, als würde mir das mit Nähen nicht gelingen, gelingt aber. Ich denke an Peter. Peter mit irgendeinem Nachnamen irgendwo in der Stadt. Ich müsste Holz hacken, damit ich mich von ihm ablenken kann. Dicke, harzverklebte Bohlen, mit nacktem Oberkörper. Ich habe Sehnsucht überall. Die ganze Frau voll, egal wo sie ist und was sie macht.
    Ich nähe Adidaslogos auf die Westover und werde sie als Kult verkaufen. Auf die Trainingsjacke schreibe ich: «Osten!» – Kult. Auf die braune Samthose male ich mit groben Pinselstrichen Karos und halte den Reißverschluss mit Sicherheitsnadeln zu. Dann schreibe ich «Punksau» auf den Hintern – Kult. Die riesige Anzughose bekommt eine Kette aus dem Baumarkt und eine Tasche fürs Handy. Ich schreibe «Rapublikaner» drauf – Kult. Dieses Wochenende mache ich mal wieder Markt auf dem Boxhagener Platz.
    Schon ist Abend. Wieder ein Tag weg. Ohne Peter, schade, aber ohne Katrin, schön. Ich gieße meine Pflanzen, steige auf die eine Leiter in der Stube, dann auf die neue Leiter im Flur. Die habe ich in einem Keller gefunden. Dann lese ich ein altes Tagebuch von mir. Meine Rechtschreibung war mit zehn Jahren ganz niedlich, obwohl ich zu der Zeit viel gelesen habe. Immer dieselben drei Bücher: Pipi Langstrumpf, Pipi Langstrumpf, Pipi Langstrumpf. Aber zwischen den Wörtern Käfer und Gewehr bestand für mich kein Unterschied. Und wozu ein H da ist und wo es hinkommt, wusste ich auch nicht. Einige Sätze muss ich lange entschlüsseln, aber ich komme immer zum selben Ergebnis: Ich hatte eine glückliche Kindheit. Ich will das Peter erzählen, alles. Peter, ich habe Käfer wie Gewehr geschrieben, ganz gleich. Ich will dir erzählen, wie meine ersten Lieben waren, schön. Warum sie aufgehört oder immer noch nicht aufgehört haben und was ich gelernt habe. Ein Mann hat mir beigebracht, wie ich einen Teebeutel mit dem Löffel auswringen kann, ich wickel den Teebeutel um den Löffel und dann ziehe ich an der Schnur. Das ist praktisch. Das mache ich heute noch so. Ein Mann hat mir beigebracht, mit der Taucherbrille Zwiebeln zu schälen. Damit ich nicht weinen muss. Dann ist er gestorben. Ich habe geweint.
    Ich führe endlose Gespräche mit Peter. Meine Sätze sind schön. Seine Sätze sind kurz. Er erzählt von seiner traurigen Kindheit, ich von meiner schönen. Mein Vater mit dem Springseil, Bratkartoffeln und Kartoffelpuffer. Bis meine Eltern gestorben sind, hatte ich eine wundervolle Kindheit. Das Heim habe ich gehasst, Peter.

fünf
    Ich liege neben Tanja und bin durchaus zufrieden. Da könnte ich mich fast dran gewöhnen. Ich bin zufrieden. Was für ein komischer Satz, wunder und staun, fängt mit «Ich» an und hat nichts grob Gehacktes zum Inhalt. Ich bin zufrieden wie ein schwuler Strauß, der von dem riesigen Objektiv eines Dokumentarfilmers tief in den Arsch gefickt wurde, während er den Kopf in den Sand steckt. Das wäre ein doch schöner Satz für dasselbe.
    Tanja zieht Streichelspuren über meine Brust, große umgefallene Achten, Unendlichzeichen und kleine Nullen um die Brustwarzen. Sie erlaubt mir, in ihrem Bett zu rauchen.
    «Fragt die eine Frau die andere, Sag mal, Qualmst du nach dem Sex? Sagt die, muss ich nächstes Mal drauf achten.» Das ist ein guter Witz. Der Aschenbecher steht auf meinem Bauch und wackelt, wenn ich lache. Tanja lacht nicht, vielleicht hat sies nicht verstanden. Sie bestaunt mein Gesicht wie ein Kreisdiagramm, als könnte sie darin die prozentuale Ausprägung meines Charakters lesen: Fünfzehn Prozent Humor, vierzig Prozent Geilheit, Rest Frust und jetzt gerade durchaus zufrieden. Ich wackel mit dem Fuß. Tanja fängt an, sich wie ein Wurm zu benehmen, und ich bin der Apfel. Sie kraucht in mir herum und versucht herauszufinden, warum ich stinke. Ich soll mich erklären, am besten noch ausweisen. Da könnte ich mich nicht dran gewöhnen. Sie fragt totalen Schnulli. Ich bin null Prozent Schnulli. Wie ich es finden würde, wenn mein bester Freund mir die Freundin ausspannen würde? Mein Gott, du Schöpfer vorm Herrn, was pflanzen diese Vorabendserien in junge Köpfe? Wenn ich Tanjas Weltbild erhalten wollte, müsste ich wohl sagen, dass ich den Freund mit einem Schuhanzieher umbringen würde, danach erzählt mir der ermittelnde Kommissar beim Verhör, dass wir Brüder sind und ich verliebe mich in meine Ex-Freundin neu, die im Wachkoma liegt und mich für ihren Pfleger hält. Fortsetzung

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