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Die Titanic und Herr Berg

Die Titanic und Herr Berg

Titel: Die Titanic und Herr Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Fuchs
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auch noch Mama und Papa zueinander sagen … Wenn Papa dann an Mamas Titten knetet, sagt er: «Geile Titten, Mama mia.» Suchen wir alle ein Abbild unserer Mutter oder unseres Vaters? Nein, ich lehne diese These ab. Abgelehnt. Da kommt der Sachbearbeiter wieder in mir durch. Abgelehnt. Antrag auf ein besseres Leben. Abgelehnt. Was soll denn das mit Geld zu tun haben? Seid von innen glücklich. Esst mehr Schokolade, die billige von Aldi, und fickt mehr. Ich will nicht an Tanja denken. Ich will an Linda denken und etwas über sie erfahren. Ich rede mit ihr und erfahre nur etwas über Sebastian.
    «Sebastian hat also eine Freundin. Aha!», sage ich. «Wie lange denn schon?» Warum erfahre ich nur etwas über die Kinder, indem ich sie gegenseitig übereinander ausfrage?
    «Sie heißt Nadine.» Linda zutscht Apfelsaft durch einen durchsichtigen Strohhalm. Ich kann sehen, wie der Saft wieder ins Glas zurückläuft, wenn sie aufhört zu trinken.
    «Nadine ist älter», sagt Linda, und der Saft läuft durch den Strohhalm wieder ins Glas. «Sie ist die Tochter von einer Freundin von Mama.» Der Saft läuft wieder durch den Strohhalm zurück ins Glas.
    Ich muss drei Sachen verarbeiten. Sebastians Freundin heißt Nadine. Ich habe damals meine Nadine nicht bekommen. Er hat seine Nadine bekommen. Dann erfahre ich noch, dass Sylvia eine Freundin hat. Wo hat sie die her? Kann man die irgendwo runterladen? Ich will auch so was. Und dann weiß Sylvia schon länger als ich von dieser Nadine. Nach außen sehe ich vielleicht aus wie ein Vulkanier, innerlich bin ich aber ein Klingone und möchte gerne jemand mit diesem besonderen Klingonen-Schwert zerteilen. Ich fege erst mal die Krümel vom Tisch. Ich habe keine klare Mimik mehr für einen Fotoroman.
    «Linda?»
    «Ja!», sagt sie. Kluges Kind.
    «Linda, ich gebe dir jetzt schon dein Weihnachtsgeschenk.» Sie strahlt. Knips. Wie zur Einschulung. Knips. Die vielen Fotos, wie sie vor mir lief mit der Zuckertüte und ich habe sie ständig gerufen und sie hat sich rumgedreht. Knips. Wir sind Verschwörer: du, mein Mädchen und ich, dein Daddy. Wir teilen ein Bett, Geheimnisse, und jetzt bekommst du dein Geschenk vor allen anderen.
    «Warum?», fragt Linda.
    Weil ich nicht weiter mit dir reden will. Erzähl es deinem neuen Tagebuch. Es hat glitzernde Streifen und ist abschließbar, damit dein Bruder nicht drin rum liest. Es ist ein wirklich schönes Geschenk. Ich bin stolz auf mich. Bester Daddy des Jahres, echt ey.
    «Ach, warum, warum?», sage ich. «In Amerika kommt der Weihnachtsmann morgens.» Linda ist zufrieden. Amerika ist gut. Dann fällt mir ein, dass das glitzernde Tagebuch im Einzelzimmer liegt, wo Sebastian auf Maria liegt. Ich verliere wie ein platzender Fahrradreifen schnell Luft. Pfffffffffff. Auf einmal bin ich nur noch eine leere Hose und ein Rollkragenpullover. Ich habe nicht mal Lust zu fluchen. Heilige Scheiße, nicht mal nach Fluchen ist mir. Verdammt. Ich sage: «Ich gehe es holen», und gehe allein spazieren. Eine Stunde lang.

    Wieder keine weiße Weihnachten, nein. Der Mann im Radio sagt, dass es nun zehn Jahre her ist, dass es weiße Weihnachten gab, ja. Ich weiß, ich kann mich daran erinnern, ich weiß. In dem Jahr bekam mein Vater graue Haare, Mama wurde befördert, und meine Schwester Katrin wurde Vegetarierin und aß nur die Klöße und den Rotkohl, ohne Soße, pur. Es fing am Nachmittag an zu schneien, und ich machte mit Gesine Engel im Hof. Unsere Anoraks waren nass und der Stoff sirrte, wenn wir die Arme bewegten. Unsere Jeans waren gefroren, weil wir keinen Schlitten hatten und auf dem Hosenboden vom Todeshang geschlittert waren. Der Todeshang war in der Nähe des Jugendclubs, ein unbepflanzter Abhang, ohne Weg. Weil dort viele rodelten, wurde der Schnee ganz fest gepappt und dann zu Eis. Wir erzählten uns in der Schule, wer alles beim Rodeln auf dem Todeshang gestorben war: Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl, außerdem Daniel Opolka, und das war sogar wahr, wirklich. Unsere Eltern ermahnten uns, nicht am Todeshang rodeln zu gehen. Wir sollten ein paar Meter weiter rodeln, sagten die Eltern, an einem sanften Anstieg, der Babyhügel hieß. Dort jauchzten Eltern und Kinder auf richtigen Schlitten. Wir gingen weiter zum Todeshang und rutschten auf Tüten und Hosenböden, ganz Verwegene rutschten im Stehen auf glatten Schuhsohlen, so wie Daniel Opolka, der mit den Händen in der Tasche den Todeshang hinabgesaust war. Seine Jeans war zu eng. Er bekam die Fäuste

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