Die Titanic und Herr Berg
ging nach meinem Bericht größtenteils der Gedanke durch den Kopf, dass Tante Frieda mit ihrer eigenen Leber noch leben würde.
«Gut möglich!», habe ich gesagt. Und dann hatte Linda philosophische Ansätze, die ich nicht vertragen habe. Das ist alles ein Scheiß, ein Nichts, ein Hopplahopp und immer weiter. Ich wollte Lindas Hand halten, aber musste ja das Auto steuern. Ich wollte ihr an der Raststätte eine Cola kaufen, und es gab Leber mit Kartoffelbrei. Mehr konnte ich für Linda nicht tun, als dass ich nicht die Leber bestellt habe, sondern ein Schnitzel, ein Stück Schwein, das nicht mal einen Unfall hatte, sondern normal gemeuchelt wurde. Wenn Sebastian dabei gewesen wäre, hätte er sich mit Linda unterhalten und Ende der Fahnenstange, an der oben eine beschissene Unterhose geflaggt ist. Und ich hätte abends nicht zu Tanja fahren müssen, die mir meine elektrisierten Brusthaare glatt strich.
Ich rufe Sylvia an und sage, dass ich jetzt losfahre.
«Gut!», sagt sie.
Ich frage noch, ob die Kinder bereit sind.
«Ja!», sagt Sylvia, und es stimmt sicher nicht. Linda ist für diesen ganzen Scheiß nicht bereit, zu jung, und Sebastian … Blödmann. Ich fahre durch die Stadt, die Wochenende hat und alle mit ihr. Da freuen sich die Arbeitslosen, sie müssen keine Arbeit suchen, sie haben Wochenende. O Peterchen, geh auf Mondfahrt, wenn du es hier nicht aushältst, oder halts Maul. Den restlichen Weg summe ich. Vor dem Haus, in dem das wohnt, was von meiner Familie übrig blieb, rufe ich nochmal oben an und sage, dass ich da bin.
«Gut!», sagt Sylvia wieder, und dann kommen meine Fußstapfen im Sandstrand des Lebens herunter. Sebastian hat einen Anzug an und kein trauerndes Gesicht, sondern sein Grinsen, wie eine Krücke, ohne die er das Haus nicht verlässt. Er hat meinen Mund und mein Kinn und darum küsse ich ihn auf die Wange. Er steigt vorne ein.
«Willst du nicht hinten bei deiner Schwester sitzen?»
«Mama kommt mit!»
Und da kommen auch schon die beiden Damen. Linda hat nicht wie zur Beerdigung Sylvias Mantel an, weil Sylvia den selber anhat. Aber sie hat Sylvias viereckiges Gesicht und Sylvia hat Lindas Gesicht und Sebastians Wangen. Alle haben wir etwas voneinander. Ich küsse Linda und Sylvia. Sylvia umarmt mich und streichelt über meinen Rücken. Da ich heute sehr daran interessiert bin, dass ich es leicht habe und da ich noch nicht weiß, ob es mit Sylvia leichter oder schwerer ist, weiß ich noch nicht, ob ich mich freue.
«Wieso hast du denn Blumen dabei? Die Beerdigung war schon.»
Sylvia sagt, dass sie gerne zum Grab möchte, wenn wir schon mal da sind.
«Ich war schon am Grab», sage ich und lege die Blumen hinten ins Auto.
Sylvia sagt streng: «Also!» Sie glaubt mir nie, wenn ich ruppig bin. Das war eigentlich eines unserer Grundprobleme. Sie fand mich amüsant.
«Sieht Sebastian nicht toll aus im Anzug?» Sie ist total verknallt in ihren Sohn. Ich bin verknallt in unsere Tochter, und als wir jung waren und so aussahen wie unser Sohn und unsere Tochter, waren wir ineinander verknallt. Logisch so weit!
Ich schmeiße den Kofferraum zu und sage: «Mir ist wurscht, wie er aussieht. Er soll leiden!»
«Ach, Peter!» Sie findet mich schon wieder saukomisch. Bevor wir ins Auto steigen, bittet sie mich noch darum, Sebastian nicht zu sagen, dass er toll aussieht im Anzug, weil er dann nie wieder einen anzieht.
«Naja, zu seiner eigenen Beerdigung wird er wohl nochmal einen anhaben.»
Wir steigen ein. Sebastian fummelt am Radio herum und fragt mich, warum ich Klassikradio eingestellt habe, so alt wäre ich doch gar nicht.
«Basti!»
Okay, ich bin froh, dass Sylvia mitkommt, sonst vergesse ich während der Fahrt zwischendurch, wie wir alle heißen.
«So!», verkünde ich und habe geradezu ein Gefühl wie zum Familienausflug. Vielleicht erbe ich ja eine Münzsammlung im Werte eines Kleinwagens, oder einen Kleinwagen im Werte einer Münzsammlung oder was mit ideellem Wert im Werte einer Schrippe.
Sebastian beschäftigt sich mit dem Radio und Sylvia fragt nach Freundinnen von Linda, deren Namen ich immer wieder vergesse. Anne, Anna, Antje. Ich sag immer nur, die Freundin, mit der du Handball spielst, die neben dir sitzt, die den Hund hat. Sebastian stellt das Radio immer lauter und dann plötzlich leiser, um zu fragen, wie das mit Tante Friedas Leber war.
«Frag deine Schwester!», sage ich und konzentriere mich auf den Straßenverkehr.
Linda erzählt, wie das mit der Leber war. Sie
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