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Die Titanic und Herr Berg

Die Titanic und Herr Berg

Titel: Die Titanic und Herr Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Fuchs
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gekommen. Er hat wie immer seine Schwester als Abgesandte meines Nachwuchses geschickt. Er glaubt, sie könnte für ihn mittrauern, und dann könnte er in der Zeit was Lustigeres tun. Aber was gibt es denn Lustigeres als Trauer? So ein unsinniges Gefühl, finden die Buddhisten, weil wir alle nur Tee in einer Tasse sind und nu is halt die Tasse futsch. Die Gleichgültigkeit meines Sohnes grenzt also an Weisheit. Verdammt, hat mich das aufgeregt. Sebastian sagte am Telefon, er mag Beerdigungen nicht.
    «Woher willst du das denn wissen? Du warst doch noch nie auf einer.»
    «Ich muss doch nicht alles probieren, um zu wissen, dass es nicht gut ist. Ich mag Beerdigungen nicht.»
    Daraufhin habe ich ihm gesagt, dass ich Beerdigungen mag. Und ich habe es in immer schärferem Ton mehrfach gesagt: «Ich mag Beerdigungen, ich mag Beerdigungen wirklich, ich finde, es gibt nichts Schöneres als eine Beerdigung. Schade, dass Beerdigungen so selten stattfinden. Da muss ja immer erst einer sterben.»
    «Ja, ja, hab ich verstanden», sagte er und versprach, zur Testamentsverkündung mitzukommen.
    Ich will, dass er nachtrauert. Er soll im schwarzen Anzug dumm rum stehen und mich nach Kippen anschnorren. Außerdem hätte ich ihn gebraucht, auf der Rückfahrt, für die Stimmung. Ich dachte, zwei Kerle gegen eine junge Frau setzen sich in ihrer kerligen Art durch, und dann ist Ruhe. So musste ich mit Linda reden, als könnte ich irgendwas erklären. «Frag deinen Bruder!», hätte ich sagen können. Auf der Hinfahrt hätte ich es auch gut gefunden, wenn Sebastian mit dabei gewesen wäre, denn ich habe einmal erzählt, was Tante Frieda passiert ist, und ich bin ja nun kein Märchenonkel. Vielleicht muss ich es heute nochmal erzählen. Ich bekomme doch Fusseln am Maul. Tanja habe ich das mit Tante Frieda auch erzählt, dass Tante Frieda eine scheiß Leber hatte und dann eine tolle neue Leber bekommen sollte, weil sie noch nicht über der Altersgrenze war, wo man Patienten einfach verrecken lässt, weil Spenderorgane eben nicht für alle reichen. Das stimmt nicht ganz, Organe gibt es eigentlich genug. Es gibt ja viele Männer in Brasilien, die ihre Kindheit damit verbracht haben, Fußball zu spielen, um reich zu werden und dann waren sie nicht gut genug, aber ihre Organe, die sind doch gut genug. Tante Frieda bekam eine legale Leber. Irgendein Fernfahrer wird kurz in den Sekundentraum seines Sekundenschlafes abgerutscht sein, dann war da eine Brücke. Die Brücke ins Jenseits. Das Autoschild vorne aus dem Fahrerhäuschen war verbeult. «OTTO 1955» stand drauf. Otto hatte einen Spenderausweis, weil sein Brummi auch Ersatzteile braucht, wenn er nicht fährt. So denkt ein Otto. Ethik ist ein Fremdwort, und Otto mochte keine Ausländer. Er wird erstaunt sein, dass die auch ins Jenseits kommen, alles voller Neger, weil ihnen die weißen Flügel so gut stehen. Ottos Frau war gegen einen Spenderausweis, weil sie das für ein schlechtes Omen hielt, nur so von ihrer spinnerten weiblichen Intuition her. Otto wäre auch ohne den Spenderausweis hops gegangen. Der scheiß Sekundenschlaf und die Konkurrenz, die nicht schläft. Die polnische Konkurrenz schläft nur hinterm Steuer, der scheiß Minutenschlaf. Als Ottos Frau davon erfuhr, fiel sie in Ohnmacht. Sie würde aus dem Haus ausziehen müssen, nichts mehr mit Hausfrau, nur noch Wohnungsfrau und Witwe. Und auch nichts mit Mutter, sie waren kinderlos geblieben, weil Otto lahme Spermien hatte, die lagen im Liegestuhl, die konnte er nicht spenden. Aber seine Leber war tipptopp und Ottos Leber ging an, Trommelwirbel, Frau Frieda Berg. Sie verschwand von der Warteliste, während täglich Massen nachrücken. So viele LKW-Fahrer gibt es gar nicht. Da ist dir die Rechnung in die Milch gefallen, Mädchen. Und dann ist Tante Frieda bei der Operation gestorben. Die Leber war geradezu verschwendet worden. Jede Operation ist eine Risikooperation, sagen die Ärzte gerne und stecken ihre desinfizierten Pfoten in die Kittel, um am Pieper zu spielen, damit er piept. «Hach Gott, der Pieper, ich muss weg!»
    Und als ich das Tanja erzähle, wie gesagt, in komprimierter Form ohne Otto und Ottos Frau, denn er könnte ja auch Uwe geheißen haben oder sie hieß Karla und hat sich zerkackt, Tanja sagte jedenfalls: «Die Leber wollte sterben, weil der ganze restliche Körper schon tot war. Die Leber wollte ins Grab.» Holla, war da die Erdanziehungskraft auf einmal groß, und mir fiel die Kinnlade runter.
    Linda hingegen

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