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Die Titanic und Herr Berg

Die Titanic und Herr Berg

Titel: Die Titanic und Herr Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Fuchs
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Durch die Stäbe an der Tür des Korbes kann ich den riesigen roten Fellball mit dem vorwurfsvollen eingedellten Gesicht sehen, Perserkatze. Das ist schwer zu lieben, für jemand, der das nicht liebt. Gesine liebt das. Sie schaut immer wieder besorgt auf meinen Schoß, wo der Weidenknast stinkt. Mir kommt die Situation nicht schlimm vor, aber mir sind auch die Eltern gestorben, beide, und ich war schuld, ja. Ich war schuld, weil ich an diesem Abend auf sie gewartet habe und ich wusste, dass etwas passieren wird, aber ich wusste nicht was, nein. Ich dachte, wenn ich mir alles vorstelle, was passieren könnte, dann kann ich sie dadurch schützen, weil immer etwas passiert, mit dem niemand rechnet, also musste ich mit allem rechnen. Aber das was dann passiert ist, als meine Eltern an dem Abend vom Elternabend zurückkamen, konnte ich mir nicht vorstellen, niemals. Ich habe an alles gedacht: Autounfall, Mörder, Überfall, Selbstmord. Ich habe sie gegen alles geschützt, aber es ist etwas Unvorstellbares geschehen. Darum finde ich eine kranke Katze nicht schlimm.
    Gesine macht die Heizung ganz warm. Sie sagt, ich solle mich anschnallen und atmet durch, wie vor einem wichtigen Rennen. «Beruhige Mulle mal ein bisschen.» Ich glaube nicht, dass es Sinn macht, die Katze zu beruhigen. Ich will lieber Gesine beruhigen, ruhig, ruhig, aber sie kommt mir gerade vor wie eine Mutter, da kann ich nicht die Mutter sein. Da müsste ich die Großmutter sein, Oma. Ich stecke meinen Zeigefinger in Mulles Verschlag und berühre sie am Kopf. Sie jammert noch mehr.
    «Hast du bei dem Tierarzt schon angerufen?», frage ich, und Gesine erzählt mir ausführlichst, wie schlimm das ist, wenn eine Katze Atemprobleme hat und die Ärztin hat gesagt, die Katze müsse sofort zur Behandlung, sofort, mitten in der Nacht.
    «Da ist es, Nummer 15», sagt Gesine und fährt langsam an dem Haus vorbei, weil sie keinen Parkplatz findet. «Geh doch schon mal rein und melde Mulle an. Ich komm gleich.» Sie schaut über ihre Schulter und dreht am Lenkrad, um den Wagen zu wenden. Sie wirkt viel älter als ich, dabei bin ich viel älter als sie, aber das weiß Gesine ja nicht, ein biblisches Alter für eine Katze. Ich nehme den Korb und gehe in die Praxis von Frau Dr. Bevern.
    Über der Tür bimmelt eine Glocke, als ich in die hell erleuchtete Praxis gehe. Hell und warm, im Gegensatz zu draußen. Ich gehe an einem kleinen Wartezimmer vorbei, mir kucken müde Menschenaugen hinterher und ängstliche Tieraugen. Viele Tiere sind nachts krank. Das habe ich nicht gewusst. Am Empfang ist niemand und ich stelle den Weidenkorb auf den Tresen und warte, nicht lange. Dann kommt eine junge Frau aus einer Tür hinter dem Tresen. Ich kann kurz in den Raum hinter der Tür hinter dem Tresen sehen. Alles weiß, dann ist die Tür wieder zu. Die junge Frau sagt: «Guten Tag!» mitten in der Nacht. «Ach, Sie haben die Katze mit den Atemproblemen?!»
    «Ja!» Gesine hat mich klein gemacht. Ich kann nur piepsen und eine Maus gehört zum Tierarzt, hier bin ich. Was habe ich? Sehnsucht. Ich bin das Mädchen mit der Sehnsucht nach einem Mann und mit der Katze mit den Atemproblemen.
    Die junge Frau bereitet ein Formular vor. Name der Katze, Besitzerin der Katze, Alter der Katze und wie lange hat die Besitzerin schon die Katze.
    Ich sage den Namen der Katze und dann Gesines Name, und ich sage auch das Alter der Katze, «ein biblisches Alter für eine Katze», sage ich. Ich behaupte, ich wüsste nicht, wie lange Gesine schon die Katze hat.
    Die Frau nickt ohne mich anzusehen. «Na mal sehn. Setzen Sie sich so lange in den Warteraum.»
    Ich stelle mich neben die Tür und warte auf Gesine, als ob wir gleich wieder gehen. Gesine kommt und hat den Autoschlüssel im Mund, weil sie in den Händen ihr Handy und ihren Mantel trägt. Im Wartezimmer sind keine zwei Stühle nebeneinander frei, aber ein Mann setzt sich um und lächelt. Sein Hund humpelt mit ihm und lässt sich unter dem Stuhl zur Seite fallen. Wir bedanken uns. Mulle jammert. Das interessiert den Mischling. Er hebt den Kopf, bleibt aber liegen. Wir warten eine halbe Stunde. Ein Wellensittich geht, ein Kaninchen kommt. Ich will über Peter reden, der gestern da war, aber Gesine fragt nichts. Gesine fragt nie etwas. Ich weiß nicht, wie sie nicht fragen kann, wo Peter doch das Wichtigste in meinem Leben ist. Sie fragt nicht. Sie will über Mulle reden, aber ich kann ihr dazu nicht viel sagen. Eine Katzenbesitzerin mischt sich ein und

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