Die Titanic und Herr Berg
sehr warm. Sie schnurrt immer noch, atmet ganz leise und mein Magen beginnt zu knurren. Kann sein, Mulle versteht das falsch, dass ich sie anknurre. Noch ein Geräusch mehr im Raum. Der Löffel klappert. Dann hört Mulle auf zu schnurren und auf einmal fehlt ein Geräusch. Der Raum ist leer und die Ärztin stellt die Tasse auf das Fensterbrett und sagt: «So!» Wie auf Stichwort kommt Gesine in den Raum. Sie betritt die Bühne mit einer unklaren Rolle, verheult und trotzdem zufrieden, weil sie das Geld hat. Sie hat für Mulle getan, was sie tun konnte. Die Ärztin legt zwei Spritzen auf den silbernen Tisch und erklärt, dass in der ersten Spritze ein Schlafmittel ist und die Katze friedlich wegnickt, wie sie es sagt, «wegnickt». In der anderen Spritze ist ein Mittel, das zu einem Herzstillstand führt, aber die Katze wird davon nichts merken. Die Ärztin sagt «die Katze». Sie hat sowieso nicht einmal Mulle zu ihr gesagt. Wie es aussieht braucht Mulle kein Schlafmittel, sie schläft. Und wie es aussieht, braucht sie auch die zweite Spritze nicht. Die Ärztin kann nur noch feststellen, dass Mulle gestorben ist. Gesine nimmt sie mir weg. Der Tierkörper schlenkert wie ein mit Reis gefülltes Stofftier. Mulle hat nicht auf Gesine gewartet. Ich scheine an allem Schuld zu sein, Papa, Mama, Mulle. Es gab klare Abmachungen und zwei Spritzen. Jetzt gibt es nichts zu tun, als die Untersuchung und die Entsorgung zu bezahlen. Dafür hätte Gesines Geld auch so gereicht, sagt sie. Sie sagt es mir und lächelt mich kurz an, sehr kurz, sag das Mulle. Der Leichnam wird morgen verbrannt, sagt die Ärztin, sie sagt «der Leichnam», nicht mehr «die Katze». Ich stehe neben Gesine und habe zwei Hände zu viel und würde gerne auf den Leichnam eindreschen, um Gesine zu zeigen, dass mir das nichts bedeutet hat. Mulle hat mir sogar auf die Hose gesabbert, einen länglichen Fleck, ja. Gesine kann ihn sich aus meiner Hose schneiden und ans Herz pressen, wenn sie will, ja. Sie zahlt, sie nimmt den Weidenkorb, sie geht zum Auto, schließt die Autotür auf der Fahrerseite auf und kuckt mich nicht an. Ich laufe um das Auto herum und stehe auf der Beifahrerseite. Gesine packt erst den Weidenkorb nach hinten; ich brauche ihn zurück nicht auf dem Schoß halten; dann erst öffnet sie die Beifahrertür von innen. Ich steige ein und schnalle mich an, bevor sie mich daran erinnert. Ich mache alles richtig. Es ist immer noch dunkel, zehn vor fünf.
Und kaum fährt Gesine, fragt sie mich, was mit meinem Peter ist, jetzt. Jetzt fragt sie mich das, jetzt.
«Wollen wir nicht über Mulle reden?», frage ich und Gesine schüttelt den Kopf. Und ich will jetzt nicht über Peter reden. Gesine kramt in ihrer Mantelinnentasche, fährt mit einer Hand und reicht mir dann hundert Euro rüber. Ich will sie trotzdem trösten. Ich weiß, ich habe die Katze getötet, mir steht das Geld zu.
«Wofür?», frage ich und Gesine sagt, ich solle mir eine neue Hose kaufen, weil Mulle meine nass gemacht hat.
«Das trocknet doch», sage ich, aber Gesine lässt den Geldschein einfach in meinen Schoß fallen, wie man es bei einer Hure macht. Ich will sagen: «Tut mir Leid» und sie soll sagen: «Ist okay.»
Ich sage «Tut mir Leid», aber Gesine sagt nicht: «Ist okay.» Sie sagt: «Wofür denn?»
Ich kurbel das Autofenster herunter und lasse den Geldschein fliegen. Gesine regt sich fürchterlich auf. Sie ist immerhin abgelenkt. Dann fahren wir zurück und suchen den Schein. Es ist zu dunkel.
dreizehn
Dann treiben wir es eben mal bei mir. An welchem Ort wir fast immer dasselbe treiben ist doch pupegal. Wir treiben gar nicht fast immer dasselbe. Es ergeben sich immer wieder chronologische Änderungen und letzten Endes chronische Schmerzen im Unterarm. Es kommt immer etwas zu unseren Fickfesten dazu und dazu kommt noch, dass es spaßig ist. Spaßig ist vielleicht der falsche Ausdruck. Ich werde davon abhängig. Das hat ja mit Spaß nichts zu schaffen. Sie schafft mich. Wir sexen wie die Kaputten. Ich könnte drüber lachen, aber dann soll ich ihr wieder erklären warum, warum, warum. Tanja ist krank oder ein Mann. Ich werde das später entscheiden, wenn ich beim Therapeuten liege, weil sie mich angesteckt hat mit ihrem Geifer. Sie ist gierig, sie sagt: auf mich, aber ich denke, sie ist es allgemein. Aber was soll ich mich darüber beschweren, ich wäre ja schön blöd. Sie ist ein schwarzes Loch, in dem mein Schwanz verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Manchmal denke
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