Die Titanic und Herr Berg
herunter, meine ist ja schon unten und sagt: «Einfach nachfahren!»
Wir sind ja alle irgendwelche Nachfahren von irgendwem, ich zum Beispiel von meinem Vater und meiner Mutter. «Okay!», sage ich. Warum sage ich ständig okay? Was soll denn okay sein? Dass mein Auto noch fährt? Fuhr es nicht vorher auch? Was hat sich eigentlich geändert? Ist nicht alles dieselbe Froschpisse wie vorher? Was soll okay sein? Dass mein Auto fährt, wie es fahren soll? Dass alles ist wie immer? Nur mit einer verbeulten Stoßstange? Dass ich einem fremden Rentner hinterher fahre, dessen Auto auch noch fährt? Und wohin fahren wir? Ich fahre irgendjemandem hinterher? Wenn ich noch lange darüber nachdenke, fahre ich ihm an der nächsten Ampel hinten drauf. Dann zahl ich auch ein Bier, er eins, ich eins, hinten kaputt, vorne kaputt, wir sind Bruderschaft hinten drauf gefahren.
«Okay!», sage ich laut zu mir. In Ordnung, alles paletti, Soße mit Spaghetti. Ich habe Hunger. Ich habe wieder nur den ganzen Tag geraucht und mich aufgeregt. Ich bin ein Magengeschwür, so wird man bei so vielen Entscheidungen nach Willkür. Hoffentlich sind wir bald da. Wir sind schon in Kreuzberg. Wo fährt der nur hin, der Arsch? Sieh, Anton, ich kann auch ohne dich dumm in der Stadt herumfahren. Wir können uns nie auf eine Kneipe einigen und kurven ewig herum. Das kann ich auch ohne dich, Antönnchen.
Wir sind anscheinend da. In Schöneberg, wo genau weiß ich nicht. Ich bin ja nicht Taxifahrer, wenigstens das nicht. Wir parken hintereinander. Der Unfallverursacher knallt seine Autotür zu, ganz schön mit rüstigem Schwung für seinen Jahrgang. Ich steige auch aus und rufe: «Ist doch kein Panzer!» Dann lachen wir unser widerliches Männerlachen.
Der Alte zeigt auf einen Italiener auf der anderen Straßenseite. Italiener ist gut, da finde ich immer was auf der Karte außer Fettflecken. Wir suchen uns einen Tisch am Fenster und ich renne auch nicht schreiend weg, weil die Inneneinrichtung eine Tropfsteinhöhle sein soll, eine Grotte oder so was. Ist okay. Alles okay! Ich bestelle Gemüselasagne. Dann sage ich endlich das Wort, welches die ganze Zeit schon aus mir raus will: «Polizei!» Das kommt spät, aber besser spät als nie, so wie Tanja, die nie kommt. Ob wir die Polizei benachrichtigen müssen? Der Alte lacht. Er hat schon Recht, die Frage ist doof, ich bin ein Amtsarsch. Alles muss seine Richtigkeit haben, aber dann säßen wir nicht hier, sondern stünden noch am Unfallort. Unser Bier kommt. Wir prosten uns zu. Gott sei Dank sagt er nicht: «Auf unseren Unfall!» weil, so toll war es auch nicht und ein bisschen erinnert mich das auch an Tanja, mit der ich auch einen Unfall hatte, wieder wurde ich gerammt. Ich stehe einfach nur rum und werde begegnet, okay.
«Wir brauchen doch keine Polizei!», sagt der Alte und ich hoffe, er meint nur uns beide, denn ansonsten brauchen wir schon eine Polizei, die Fußballfans zur U-Bahn geleitet und Straßenmusiker nach ihrer Genehmigung fragt. Ich gehe davon aus, dass der Alte mir nachher zwei Scheine rüberwachsen lässt und darum lehne ich mich zurück, schmecke meinem Bier nach und atme tief, wie nach einem Tagesausflug mit Gummistiefeln im Wattenmeer.
Während wir auf das Essen warten, finde ich eine gute Überleitung zu Tanja. Gut, ich finde keine gute Überleitung zu Tanja. Ich finde eine dumme Überleitung, sie ist so peinlich, ich verdränge sie ratzfatz. Ich hätte bei jedem Thema zu Tanja überleiten können, weil ich darüber reden will. Ah, Sie sind aus Coburg, von dort kommt meine Geliebte nicht, aber ich liebe sie nicht und das ist so … Ah, das ist gar nicht Ihr Golf, meine kleine Geliebte hat gar keinen Führerschein … Und Sie kommen aus dem Osten? So wie eine junge Frau mit der ich manchmal, blablabla, und letztens sagte sie zu mir …
Ich will einfach darüber reden. Ich wollte mit Anton darüber reden. Ja, Mann, so schauts, höre und staune, freiwillig wollte ich was erzählen, einfach so, mir nix, dir nix … Junges Mädchen, ganz nett, verknallt, ich nicht, sie am Ertrinken, Anton hilf!
Dem Alten kann ich alles erzählen, weil er nicht gleich Bauklötzer staunt, dass ich heute so offen bin. Er muss annehmen, ich bin so, wie ich jetzt bin, und ich bin ja jetzt gerade auch so, wie ich jetzt bin. Ich sage ihm: Junges Mädchen, ganz nett, verknallt, ich nicht, sie am Ertrinken. Und dann erzähle ich noch von der Titanic und von Loriot.
Dann kommt unser Essen, er bekommt einen
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